Erling Haaland bei Manchester City
Wie Messi und Ronaldo
19. Aug 2024, 19:48 Uhr
91 Tore in 100 Spielen: Erling Haaland versetzt die Premier Leauge und seinen Trainer Pep Guardiola ins Staunen. Nach dem Weggang von Julián Álvarez ist er der Alleinherrscher im Angriff von Manchester City – und kann sich sogar eine katastrophale Statistik teilen. Sein Geheimnis: “Ich stehe nur da, und schaue zu!”
Sofern Erling Haaland die Aussicht auf noch mehr Tore nicht schon genug Lust auf die neue Saison bereitet hat, dürfte sein Gegenspieler Marc Cucurella zu Beginn der Sommervorbereitung mit einer kleinen Dreistigkeit zusätzliche Motivation gefördert haben. Nach dem EM-Titelgewinn mit Spanien nahm der Linksverteidiger des FC Chelsea den Mund wohl etwas zu voll, als er auf der Siegesfeier überschwänglich einen Sprechgesang trällerte, Paella zu essen, Estrella zu trinken – und seinen wackligen Reim damit abschloss, dass Haaland zittere, weil er, Cucurella, ihm auf den Fersen sei. Die Gesangseinlage könnte eine Anspielung auf die EM-Qualifikation gewesen sein: Haalands Norweger hatten im Oktober 2023 durch eine Niederlage gegen Spanien alle Chancen auf die Teilnahme am Turnier eingebüßt; auch wenn Cucurella damals nicht im spanischen Aufgebot stand.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Videoclips stand fest: Der Saisonauftakt der Premier League würde ein Wiedersehen der beiden einander aus vorherigen Duellen in England gut bekannten Spieler bereithalten. Denn Cucurellas FC Chelsea empfing Haalands Manchester City. Allerdings erschien es im Duell am Sonntagabend an der Stamford Bridge nicht so, wie angedichtet, als ob sich Haaland vor Cucurella fürchtete – eher umgekehrt.
In der 18. Minute bekam der City-Torjäger den Ball am Strafraum zugespielt, er stand zwischen den letzten Chelsea-Verteidigern Levi Colwill und Cucurella. Mit drei schnellen Ballberührungen, rechts, links, rechts, schüttelte Erling Haaland zunächst Colwill ab und setzte dann seinen Körper so geschickt gegen den zur Hilfe eilenden Cucurella ein, dass dieser die Balance verlor, als hätte er zu viel Estrella-Bier getrunken. Die Aktion vollendete der Stürmer, indem er aus der Drehung den Ball hebend mit links am Torwart Robert Sánchez vorbeispitzelte. Damit fing Haaland die Saison an, wie er die alte beendet hatte: mit einem Tor. Die Führung ebnete City den Weg zum 2:0 (1:0)-Sieg.
Haalands Bilanz gleicht der von Ronaldo und Messi, findet sein Trainer
Nach dem Spiel ließ Haaland Cucurella ähnlich abprallen wie im Match. Im vergangenen Jahr habe Cucurella ihn um sein Trikot gebeten, und jetzt fange er an, über ihn zu singen, wunderte sich der 24-Jährige. Für sein Dafürhalten gebe es nicht viel zu diesem „interessantem Lied von diesem Kerl“ zu sagen, dieser könne tun, was er wolle. Den Namen Cucurellas sparte Haaland bewusst aus. Und noch eine andere Sache rückte er in seiner Analyse zurecht: Im Vorjahr war er gegen Chelsea im Eins-gegen-eins-Duell mit Sánchez an dessen Strategie gescheitert, möglichst lange auf der Torlinie zu warten. Haaland schloss früh ab und scheiterte – was ihn „eine ganze Zeit irritiert“ hätte, gab er nun zu. Diesmal zögerte er den Schusszeitpunkt so lange wie möglich heraus, er stand bei der Ausholbewegung im Fünfmeterraum.
Die Hochwertigkeit des Treffers versüßte für Erling Haaland ein Jubiläumsspiel: Er hat jetzt seit seinem Wechsel von Borussia Dortmund nach Manchester im Sommer 2022 sensationelle 91 Tore in 100 Pflichtspielen für City erzielt – wobei: Auch 100 Tore in 91 Spielen hätte bei ihm niemand angezweifelt. Das sei das Niveau von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo, die in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten alles dominiert hätten, staunte sein Trainer Pep Guardiola. Der Bewegungsablauf bei Haalands Tor wirkte wie eine Reminiszenz an die beiden, er mischte Ronaldos Wucht mit Messis Eleganz.
Erling Haaland spielt nur drei erfolgreiche Pässe
Er wisse selbst nicht, wie Haaland auf diese Torausbeute komme, sagte Guardiola, noch dazu in England, der mutmaßlich anspruchsvollsten europäischen Liga. Einen Erklärungsansatz lieferte Haaland. Allerdings sei dieser einer, den sein Trainer nicht mögen werde, sagte er amüsiert: Er stehe einfach nur da und schaue zu! Wenn man sich die Verteidiger anschaut und wie gut sie den Ball zu den Mittelfeldspielern passen, benötige es sein Mitwirken im Spielaufbau nicht, witzelte Haaland selbstironisch – was seine Mitspieler hinter vorgehaltener Hand wohl ausdrücklich bestätigen würden. Denn im Gegensatz zu ihnen tut sich der nicht allzu geschmeidige und ballfertige Angreifer aufgrund seines nicht ausgereiften Spielverständnisses bisher schwer, sich in den anspruchsvollen Kombinationsfußball von City einzubinden.
Er wolle ja Guardioals Wunsch entsprechen und mehr am Spiel partizipieren, versicherte Haaland, er stellte aber zugleich in den Raum, ob er in Spielen wie gegen Chelsea überhaupt stärker involviert sein müsse. Dies sei aus seiner Sicht die Eine-Million-Dollar-Frage. Der 24-Jährige scheint an der gegenwärtigen Spielweise großen Gefallen gefunden zu haben. Ihm macht es nichts aus, dass er gegen Chelsea trotz der Dominanz seiner Mannschaft lediglich acht Pässe in 90 Minuten gespielt hat, wovon nur drei angekommen sind – eine rekordverdächtige Statistik für einen Pep-Spieler. Eine solche Bilanz kann sich unter Guardiola wohl bloß Haaland erlauben, ohne sofort ausgewechselt und verkauft zu werden.
Weil Erling Haaland gesetzt ist, verlässt sein Konkurrent Álvarez den Klub
Darunter zu leiden hatte vor allem der hochtalentierte Sturmkonkurrent Julián Álvarez. Der argentinische Weltmeister, der schon mit 24 Jahren sowohl mit dem Klub als auch der Nationalmannschaft alle relevanten Titel gewonnen hat, absolvierte in der Vorsaison zwar die meisten Spiele für Manchester City, blieb in den wichtigen Saisonspielen aber durchgehend außen vor. Er war der Edelhelfer der Guardiola-Equipe, sozusagen der zwölfte Mann. Doch der möchte er nun nicht länger sein. Aus diesem Grund entschied sich Álvarez in der Vorwoche, den Verein nach zwei Jahren zu verlassen und in die Primera Division zu Atlético Madrid zu wechseln – für eine Ablöse von 75 Millionen Euro, die je nach anfallenden Bonuszahlungen auf bis zu 95 Millionen Euro ansteigen könnte, womit Álvarez zum bisher teuersten Fußballer dieser Transferperiode avancierte.
Durch den Weggang von Álvarez ist Erling Haaland jetzt der Alleinherrscher in der Sturmspitze von Manchester City. Seinen Status ließ er auch seinen Gegner Marc Cucurella kurz vor Spielende nochmals spüren. Als dieser sich einen Krampf zuzog und zu Boden ging, lief Haaland süffisant lächelnd an ihm vorbei.