Manchester City in der Krise

Nicht mal Erling Haaland trifft mehr

27. Dez. 2024, 23:22 Uhr

Selbst am verlässlichen Torjäger zieht die Krise nicht vorbei: Erling Haaland vergibt durch seinen verschossenen Elfmeter die Chance zum Sieg. (Foto: Colosport / Imago Image)
Selbst am verlässlichen Torjäger zieht die Krise nicht vorbei: Erling Haaland vergibt durch seinen verschossenen Elfmeter die Chance zum Sieg. (Foto: Colosport / Imago Image)

Wieder kein Sieg für Manchester City: In den vergangenen neun Ligaspielen gab es für den Meister nur fünf Punkte. Spieler wie Trainer wirken ratlos. Um die Krise zu stoppen, fordert Pep Guardiola im Winter neue Spieler. Sie bietet dem Katalanen aber auch eine große Chance.

Von Sven Haist, London

Nicht mal Erling Haaland trifft mehr: Willkommen in der Krise, Manchester City! Bisher kennen die Spieler und ihr Trainer Pep Guardiola eine solche nur vom Hörensagen. Nicht selten war es in den vergangenen Jahren so, dass City mit Kantersiegen gegen die Konkurrenz in der Premier League maßgeblich dazu beitrug, dass diese in Selbstzweifel verfielen. Nun wirkt es, als würde diese sich serienweise an City revanchieren. Nach Bournemouth, Brighton, Tottenham, Liverpool, Cry­st­al Palace, M­a­nch­ester United und Aston Villa hat nun auch der FC Everton am berühmten Boxing Day dem Daue­rme­ister die Krone vom Weihnachtsbaum genommen. Der Traditionsklub vom River Mersey, der seit Jahren nur Kummer gewohnt ist, holte ein solides 1:1 (1:1) in Manchester und löste sich damit von der Abstiegszone. Die Everton-Spieler klatschten sich nach dem Match zufrieden ab immer wie sonst die Citizens. Stattdessen stand Guardiola so ernüchternd auf dem Spielfeld, als wäre man Tabellenletzter.

Das Spiel von City weist typische Krisen-Symptome auf

So schlimm ist es noch nicht um City bestellt, der Klub taumelt nach wie vor nur die Plätze in der oberen Tabellenhälfte herunter. Allerdings bekommen die Spieler des erfolgsverwöhnten Kaders gerade einen erstmaligen Eindruck in ihrer Karriere, wie sich eine Krise anfühlt. Denn die typischen Symptome waren gegen Everton allgegenwertig zu besichtigen. Sie ließen sich sogar in einer Szene zusammenfassen: In der 53. Minute, beim Spielstand von 1:1, erhielt City einen Elfmeter nach einem Foul von Evertons Witalij Mykolenko. Als Schütze trat Torjäger Erling Haaland an, bei dem bislang in seiner Premier-League-Zeit praktisch fast jeder Schuss ein Tor bedeutet.

Doch diesmal brachte Haaland, der bei 108 Treffern in 122 Spielen steht, den Ball auf elf Metern nicht im Netz unter. Er schob den Ball kraftlos wie einen Rückpass in die linke untere Ecke, sodass Evertons Keeper Jordan Pickford den Versuch parieren konnte. Zuvor hatte eine abgefälschte Flanke von Bernardo Silva in der 14. Minute für die Führung gesorgt. Statt Selbstvertrauen löste sie bei City jedoch Nervosität aus, womöglich am Ende wieder einen Vorsprung zu verspielen. Prompt schlug Abwehrspieler Manuel Akanji kurz darauf ein Luftloch im Strafraum und ermöglichte so Evertons Iliman Ndiaye den Ausgleich (36.). In den vergangenen neun Ligamatches gab es für City nun bloß fünf Punkte, insgesamt nur ein Sieg in dreizehn Pflichtspielen.

Die Krise bietet Guardiola auch eine Chance

Die Bewältigung einer sportlichen Krise ist in gewisser Weise der letzte Titel, der Pep Guardiola in seiner Trainerkarriere noch fehlt – auch wenn es dafür am Ende bekanntlich keinen Pokal gibt. Auf seinen Klubstationen beim FC Barcelona (2008–2012), beim FC Bayern (2013–2016) und seit 2016 bei City hatte ihn stets ausschließlich der große Erfolg begleitet. In allen drei Ländern führte er seine Vereine zum Double aus Meisterschaft und Pokal, triumphierte drei Mal in der Champions League und gewann mit Barcelona und Manchester sogar das Triple. Allenfalls verlor Guardiola mal drei Spiele hintereinander. Das wurde ihm dann schon als Misere ausgelegt.

Seine Kritiker behaupteten, das alles sei nur möglich, weil Guardiola stets bei den besten Klubs angestellt sei und dort die besten Spieler trainiere. Dabei schwang mit, er müsse sich auch mal in einer schwierigen Situation beweisen, um seine Ausnahmestellung im Weltfußball zu bestätigen. Diese Sicht schien Guardiola zu nerven, immer wieder ließen Aussagen von ihm darauf schließen, dass es ihm an Wertschätzung fehle.

Trotz des verschossenen Elfers macht Guardiola den Spielern keine Vorwurf

Citys vermaledeite Bilanz der Gegenwart eröffnet Guardiola nun unverhofft die Möglichkeit, sich in einer für seine Verhältnisse angespannten Lage als Trainer zu beweisen. Er ergreift sie. Schon zu Beginn der Negativserie im November verlautbarte der 53-Jährige, er werde sich selbstverständlich der Gesamtsituation stellen, er liebe solche Situationen. Dies unte­rmauerte er kurz darauf, indem er demonstrativ seinen zum Saisonende auslaufenden Vertrag um zwei Jahre bis 2027 verlängerte – obwohl er eigentlich klar zum Aufhören tendiert hatte. Die Unterschrift wirkte, als würde Guardiola letztlich so lange verbindlich bei City bleiben, gegebenenfalls ewig, bis er den Verein wieder in die Erfolgsspur zurückgeführt hat.

Tatsächlich geht Guardiola in der Rolle des Krisenmoderators in der Öffentlichkeit überraschend auf. Auch gegen Everton litt er mit seiner Mannschaft intensiv mit und baute seine Spieler ständig auf. Vor wenigen Tagen widersprach er der Selbstkritik von Haaland. Er stimme mit seinem Spieler nicht überein, ohne Haaland wäre alles viel schlimmer, beschwichtigte Guardiola. Der 24-Jährige hatte zuvor gesagt, er nehme Schuld auf sich, weil er seine Chancen nicht nutze. Auch nach dem verschossenen Elfmeter verzichtete Guardiola auf einen Vorwurf. Bei Amazon Prime sagte er, dies sei eben die Phase, in der so etwas passiere.

Selbst die Spieler fordern angeblich Verstärkungen

Allerdings hinterlässt Guardiola dafür als Trainer gerade psychologisch und taktisch erstmals einen ratlosen Eindruck. Als Ausweg aus der Krise sagte er nach dem jüngsten Rückschlag, dass man „definitiv“ Spieler im Winter benötige. Jeder sei sich dessen bewusst, sagte er. Selbst die aktuellen Spieler würden den Klub darum bitten, neues Personal zu verpflichten. Sollte Manchester City auf diesem Weg die Krise stoppen, ist davon auszugehen, dass Guardiolas Kritiker ihm das sicher vorhalten werden.

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