Manchester-Derby
Madchester City
18. Dez. 2024, 15:02 Uhr
Manchester United besiegt Manchester City mit zwei späten Toren innerhalb von 115 Sekunden mit 2:1. Der Doppelschlag erinnert an das eigene berühmte Champions-League-Finale 1999 gegen den FC Bayern. Guardiola tobt und übt deutliche Selbstkritik.
„Amadchester“: So fühlte sich die Fußballstadt Manchester am Sonntagabend nach dem Nachbarschaftsduell zwischen City und United in der Premier League an. Die geflügelte Bezeichnung war zum einen eine Reverenz an Uniteds Siegtorschützen Amad Diallo („Amad-chester“) – und zum anderen eine treffende Zusammenfassung des verrückten Spielverlaufs („A-mad-chester“). Der Begriff Madchester (mad heißt verrückt) stammt von 1989, weil es damals in Manchester in der Musikszene turbulent zugegangen war. Also in etwa so, wie jetzt bei Uniteds 2:1-Auswärtssieg gegen City.
Bis zur 88. Spielminute hatte City durch ein Kopfballtreffer des Abwehrspielers Josko Gvardiol (36.) nach einer abgefälschten Flanke geführt. Den Vorsprung verwaltete die Mannschaft von Trainer Pep Guardiola in der zweiten Halbzeit in der eigenen Hälfte. City überließ United den Ball und griff erst an der Mittellinie an. Vom Seitenrand aus wies Guardiola die Spieler an, eher hinten zu bleiben und beorderte sogar Torjäger Erling Haaland zurück. Dies führte zu der kuriosen Szene, dass Haaland einmal den Ball aus dem eigenen Strafraum schlug und diesem dann nachrannte – weil keiner vorne war.
Um das 1:0 irgendwie über die Zeit zu retten, entschloss sich Guardiola kurz vor Schluss zu einem Defensivwechsel. Es sollte der zuletzt verletzte Abwehrroutinier John Stones in die Partie kommen, er stand schon am Spielfeldrand bereit. Doch dann leistete sich Aushilfslinksverteidiger Matheus Nunes zwei haarsträubende Schnitzer in Folge: Er spielte zunächst einen zu kurzen Rückpass zu Torwart Ederson, den Gegenspieler Diallo abfing – und verschuldete danach einen überflüssigen Elfmeter an diesem, obwohl Ederson die Situation eigentlich bereinigt hatte.
Guardiola tobte, ging in die Knie, hielt sich die Hände an den Kopf und vor das Gesicht. Er schien sich im Unverständnis zu verlieren – und beging daraufhin selbst einen psychologischen Fehler. Während der sich verzögernden Elfmeter-Ausführung widerrief Guardiola plötzlich den veranschlagten Stones-Wechsel. Der Verteidiger musste sich wieder hinsetzen. Stattdessen handelte der Trainer, als wäre der Ausgleich bereits gefallen und gab dem Flügelspieler Savinho nun letzte Instruktionen für eine Schlussoffensive. Die Aktion suggerierte, als würde Guardiola Ederson, den er kürzlich nach schwachen Leistungen für einige Partien aus dem Tor genommen hatte, keine Chance einräumen, den Elfer von Bruno Fernandes vielleicht zu parieren.
Der Goalie entschied sich prompt für die falsche Ecke. Als Reaktion auf das 1:1 setzte Guardiola dann den Plan mit Savinho in die Tat um. Die City-Spieler attackierten umgehend, wurden aber unvorsichtig – und 115 Sekunden später brutal überrascht. Diallo erlief einen Steilpass und erzielte in Minute 90 das Siegtor für United. In der Schlussphase habe man wie eine „U-15-Mannschaft“ gespielt, schimpfte City-Offensivallrounder Bernardo Silva.
Uniteds blitzartiger Doppelschlag ließ derweil überhaupt keine andere Erinnerung zu als das berühmte eigene Champions-League-Finale 1999 gegen den FC Bayern. Damals verwandelten die Red Devils unter dem Trainer Alex Ferguson sogar in nur 105 Sekunden mit zwei Eckball-Toren in der Nachspielzeit eine drohende Pleite in einen Sieg. Das Spiel wurde zur Idealvorstellung der sagenumwobenen „Fergie-Time“, die aus United-Sicht bedeutet, dass in jeder Partie immer so lange nachgespielt werde, bis das eigene Team vorn liegt.
Das Ende sei unglaublich gewesen, bilanzierte der neue United-Coach Rúben Amorim. Seine Spieler und er hätten immer an den Erfolg geglaubt, dann sei „Fergie-Time“ angebrochen und „etwas Magisches“ passiert. Ein solches Erlebnis hätte man nach der Dauermisere gebraucht, das sei am „speziellen Jubel“ zu erkennen gewesen. Minutenlang wurden die Mannschaft auf dem Platz vom eigenen Anhang gefeiert, als hätte man City nach deren vier Triumphen in Serie als englischen Meister entthront. Durch den Erfolg hat United als Tabellendreizehnter immerhin den Anschluss ans Tabellenmittelfeld geschafft und liegt nur noch fünf Punkte hinter dem abgerutschten fünftplatzierten Stadtnachbarn.
Die Dramaturgie entsprach einer Entschädigung für das bisweilen erstaunlich dürftige Niveau des Derbys. Die Boulevardzeitung Sun stufte es als eines der „schlechtesten seit Menschengedenken“ ein – und übertrieb dabei nicht mal. Allerdings: Es spielten diesmal auch zwei Krisenklubs gegeneinander.
Citys Bilanz gleicht auch der eines solchen: Guardiolas Elf konnte nur eins der letzten elf Pflichtspiele gewinnen. Es gebe nicht viel zu sagen und auch nichts zu verteidigen, begann Guardiola seine Ausführungen in der BBC. Dann rechnete er mit sich selbst ab: „Ich bin der Boss, der Trainer. Ich muss Lösungen finden und das ist mir bisher nicht gelungen. Das ist die Realität. Ich bin nicht gut genug!“ Währenddessen zuckte er mit den Schultern, schüttelte den Kopf und schmunzelte ungläubig. Auch witzelte er, man sei zuletzt „unglaublich konstant“ gewesen und jetzt wieder – nur auf eine „andere Art“.
Mit der neuerlichen Selbstkritik versucht Guardiola, sich zum einen vor die eigene Mannschaft zu stellen und seine Spieler zu schützen. Zum anderen entspricht es einfach der Realität. Der Katalane hat den Beginn der Niederlagenserie in gewisser Weise selbst herbeiführt – indem er bei der ersten Pleite bei Tottenham Hotspur im EFL-Cup im Oktober freiwillig auf einige seiner besten Spieler verzichtet hatte. Durch dieses Aus hat City in dieser Spielzeit die Chance verpasst, als erster englischer Klub überhaupt vier Titel in einer Saison einzufahren. Dieses Ziel ist das einzige, das die Elf nach all den Titeln in den Vorjahren noch wirklich antreibt. Der Rückschlag schien damals auf die Motivation zu drücken. Guardiola stichelte, die Meisterschaft habe nach sechs City-Triumphen in sieben Saisons vielleicht dieses Mal eine anderes Mannschaft verdient. Dazu kommen bis in die Gegenwart erhebliche Verletzungsprobleme und Formschwankungen.
Durch den Mangel an personellen Alternativen muss City die dichte Spieltaktung bisweilen mit den immer selben Akteuren bestreiten. Der Substanzverlust ist deutlich zu erkennen. Routiniers wie Kapitän Kyle Walker und Ilkay Gündogan, beide 34, fehlt es an Erholungspausen. Bei allen Laufdaten gehört das Team zu den schwächsten der Premier League. Vier der vergangenen fünf Ligapleiten gab es gegen Teams, die für ihre Intensität bekannt sind. Auch im Duell mit United zeigten sich dieselben Probleme. Citys Pressing funktionierte kaum, es gab zu wenige Anspielstationen – und die Konzentration der Spieler ließ am Ende erstaunlich nach. Momentan wirkt es, als wollten sich Guardiola und City irgendwie ins neue Jahr retten – um dann mit Wintertransfers den Kader zu verstärken. Bis dahin wird Manchester City erst mal Madchester City bleiben.