Krise von Pep Guardiola
Sechs Finger gegen die Entlassung
02. Dez. 2024, 15:32 Uhr
Pep Guardiola kassiert mit Manchester City beim 0:2 gegen den FC Liverpool die sechste Pleite in sieben Spielen. In der Schlussphase wird Guardiola von den Anhängern des FC Liverpool mit einem Abgesang verspottet – und reagiert wie José Mourinho.
Auf dem Weg zum Stadionausgang gab sich Pep Guardiola dann doch geschlagen. Der Trainer von Manchester City drehte sich zu allen Seiten an der Anfield Road um und applaudierte den Fans des FC Liverpool anerkennend. Die Geste wirkte wie die Einsicht, dass dem Dauerrivalen in dieser Saison in der Premier League wohl nicht beizukommen sein wird. Denn zuvor hatte sich Guardiola mit den gegnerischen Zuschauern noch eine für seine Verhältnisse bemerkenswerte Fehde geliefert. Diese wandten sich ihm in der Schlussphase des Spitzenspiels zwischen Liverpool und City in der Premier League zu, nachdem sie ihre eigenen Spieler ausführlich mit Lobgesängen abgefeiert hatten. Den Katalanen bedachten sie mit einem krachenden Abgesang zur Melodie von „Guantanamera“.
„You are getting sacked in the morning, sacked in the morning“, dröhnte Liverpool Guardiola so laut ins Ohr, dass selbst der stets bis zur Besessenheit auf das Match fokussierte Katalane die Rufe nicht überhören konnte: Du wirst morgen entlassen werden! Spontan wandte sich Guardiola den Leuten hinter ihm auf der Haupttribüne zu und hielt ihnen sarkastisch sechs Finger entgegen – für sechs Ligatitel in sieben Jahren mit Manchester City. Die Fans johlten.
Sechs Finger, das passte auch zu den nun sechs Pleiten von City in den letzten sieben Pflichtspielen. Liverpools 2:0 (1:0) wirkte am Sonntagabend wie eine Abgeltung gegenüber Guardiola und seiner Mannschaft für die vielen schmerzhaften zweiten Plätze in den Vorjahren. Nur einmal, 2020, konnte Liverpool unter Trainer Jürgen Klopp das Dauerabonnement der Citizens auf die Meisterschaft durchbrechen und triumphieren. Vier Tage zuvor hatte Liverpool mit Real Madrid bereits den anderen Angstgegner im eigenen Stadion besiegt. Klopps Powerfußball fehlte in den Duellen mit Real die Stabilität in der Defensive und gegen City die Kontrolle im Ballbesitz. Beides waren Stärken der Rivalen, Real überzeugte mit kompromisslosem Verteidigen und City mit Dominanz im Kombinationsspiel.
Diese Aspekte hat Klopps Nachfolger Arne Slot nun dem Team in nur wenigen Monaten vermittelt. „Einige taktische Dinge“ habe Slot angepasst, berichtete dazu Cody Gakpo. Der Offensivspieler erzielte die Führung nach Flanke von Mohamed Salah, der als bester Spieler der Partie später noch per Elfmeter traf. Damit verbesserte der Ägypter seine Position in den Vertragsverhandlungen mit dem Klub. Man sei dem perfekten Spiel „nahe“ gekommen, lobte Slot.
Der Niederländer hat mit Liverpool nun in der bisherigen Saison sowohl den englischen, spanischen als auch deutschen Meister besiegt. Durch den Prestigeerfolg gegen City baute Liverpool den eigenen Vorsprung an der Tabellenspitze nach einem Saisondrittel auf den neuen zweitplatzierten FC Arsenal auf komfortable neun Punkte aus. Der Rückstand der auf den fünften Platz abgerutschten Citizens beläuft sich nach vier Ligapleiten in Serie auf elf Punkte. „Gratulation“, sagte Guardiola kapitulierend. Der Gegner sei unaufhaltsam gewesen und sein Team müsse „bei null anfangen. Der 53-Jährige klang, als habe er die Meisterschaft erst mal aufgegeben.
Die eigene Chancenlosigkeit setzte dem Trainer ähnlich zu wie die persönlichen Schmähungen. Erstmals ist der verlässliche Sieger Guardiola öffentlich mit einer Situation konfrontiert, die bisher nur seine Kollegen kennen: einem möglichen Rauswurf. In der Analyse griff der Katalane dieses Thema von sich aus erstaunlich detailliert auf. Dabei kann sich nicht mal der englische Boulevard richtig vorstellen, dass das mit Weggefährten von Guardiola besetzte City-Management ihn wirklich irgendwann vor die Tür setzen könnte.
Alle Stadien in England forderten seine Freistellung, begann Guardiola bitter lächelnd. Und vielleicht hätten die Fans angesichts der Resultate recht, kokettierte er: „Vielleicht habe ich es verdient, entlassen zu werden.“ Offenbar sei es Teil des Profifußballs, dass sich bei Niederlagen von ihm die anderen freuen. Allerdings hätte er dies nicht von den Leuten in Liverpool erwartet. Man habe doch große Schlachten zusammen ausgetragen – weshalb er, Guardiola, vor allem Respekt für den Gegner empfinde Die moralische Überlegenheit, die er mit seinen Aussagen wohl indirekt implizieren wollte, schmetterte Liverpools Trainer Arne Slot eiskalt ab. Niemand müsse „Mitleid mit Pep haben“, der viele Titel gewonnen habe, konterte Slot. Dies sei eventuell bei Trainern angebracht, denen es wirklich schlecht gehe, die in der Liga ganz unten stünden. Bei Guardiola dagegen sei er überzeugt, dass er seinen Klub wieder auf die Beine bringen werde, verfügte Slot.
Nach dem Match versuchte Guardiola, Zusammenhalt zu demonstrieren. Er beorderte sein Team zu den eigenen Fans, um sich für die Unterstützung zu bedanken. Immer wieder zeigte er auch ihnen die sechs Finger – diesmal in Erinnerung an die gemeinsamen Erfolge. Seine Spieler hätten ihm die „vielleicht besten Jahre seines Lebens“ beschert, sagte Guardiola. Deshalb wolle er ihnen jetzt „mehr denn je“ beistehen. Er umarmte jeden einzelnen. Dabei ließ sich von den Lippen des Torjägers Erling Haaland ablesen: „Don’t worry“, mach Dir keine Sorgen.
Tatsächlich hinterließ das Spiel eher den Eindruck, dass er derzeit selbst mehr Zuspruch nötig hat als seine Profis. Die landläufige Meinung in Englands Fußballöffentlichkeit nach der neuerlichen Schmach: Guardiola hat die Souveränität verloren. Das wurde vor allem daran festgemacht, dass er sich bei seiner Verteidigungsaktion am Repertoire seines Erzrivalen José Mourinho bediente. Der Portugiese hatte die Fingergeste einst in England populär gemacht, als er die Kritik an ihm mit dem Verweis auf seine Titel entkräften wollte.
Damit bleibt Guardiolas City in Liverpools Anfield vor Zuschauern weiter sieglos. Nur in der Corona-Saison gelang City vor leeren Rängen ein Auswärtserfolg. Auf diese Bilanz sind die Reds besonders stolz, sie trugen mit einer faszinierenden Geräuschkulisse erneut zum Ausbau der Serie bei. Als Pep Guardiola ihnen am Ende nachgab, verabschiedeten sie ihn mit aufmunterndem Applaus.