Stadion von Manchester United

Stadion der Mäuse

16. Jan. 2025, 20:12 Uhr

Das Old Trafford von Manchester United ist aus der Zeit gefallen wie der Klub selbst. (Foto: Action Pictures / Imago Images)
Das Old Trafford von Manchester United ist aus der Zeit gefallen wie der Klub selbst. (Foto: Action Pictures / Imago Images)

Old Trafford steht für die einstigen Triumphe von Manchester United – aber sein maroder Zustand nun auch für den Niedergang des Klubs. In der Spielstätte hausen Mäuse, das Dach ist undicht und kürzlich tropfte es im Pressekonferenzraum von der Decke. Demnächst fällt die Entscheidung, ob das Stadion renoviert oder neu gebaut wird.

Von Sven Haist, London

«Old Trafford is falling down», das Old Trafford stürzt ein: Diesen Schmähgesang intonierten die Fans von Manchester City, als ihrem Klub in dem so heissenden Stadion von Manchester United in der Vorsaison ein Kantersieg gelang. Doch der Spott ist inzwischen nicht allein redensartlich zu verstehen. Denn die Spielstätte, deren Namen aus dem gleichlautenden Stadtbezirk resultiert, fällt tatsächlich auseinander.

Kürzlich fanden Gesundheitsinspektoren bei einer Routinekontrolle im Stadion Mäusekot und derlei Aktivitäten in einer Geschäftsloge – sowie in einem Kiosk, in dem bei Heimspielen Essen an Fans verkauft wird. Die Bewertung der Lebensmittelhygiene im United-Stadion wurde sofort auf der Skala von eins bis fünf auf zwei Sterne herabgesenkt. Es wurde dringlicher Handlungsbedarf festgestellt. Ein Klubsprecher versicherte, man wende «im gesamten Old Trafford ein strenges System zur Schädlingsbekämpfung» an. Es gebe mehrere Kontrollen pro Woche, um sicherzustellen, dass das notwendige Sauberkeitsniveau eingehalten werde. Angeblich sollen immerhin keine Fäkalien in Küchen und anderen Essenzubereitungsräumlichkeiten gefunden worden sein.

Die Mäuseplage ist aber nicht neu. Schon seit zwei Jahrzehnten beisst sich der Verein gewissermassen die Zähne an den Nagetieren aus. Grundsätzlich sind sie wiederkehrend im Stadion und auf dem Platz zu sehen. 2006 beschwerten sich erstmals Spieler von Burton Albion nach einem FA-Cup-Match über Mäuse auf dem Spielfeld. Bei jedem Blick auf den Rasen habe er eine Maus gesehen, es habe eine Menge davon gegeben, beschwerte sich ein Burton-Profi. Die Boulevardzeitung «Mail» berichtete 2015 erstmals, dass solche in Geschäftsräume eingedrungen seien. Schon damals bemängelten Kontrolleure die nicht ausreichenden Massnahmen des Klubs. Gemeinhin wird die Lage des Old Trafford für den Mäusebefall verantwortlich gemacht: Es liegt an einem Kanal und an Bahngleisen.

Dennoch lässt sich der marode Zustand des Areals nicht von der Hand weisen. Zumal auch das Stadiondach immer wieder undichte Stellen aufweist. Gewisse Mängel an der Überdachung gestand selbst der Verein ein. Vor einigen Monaten ergoss sich ein ganzer Wasserschwall über den Zuschauern. Grund dafür war angeblich das Überlaufen des Entwässerungssystems, hiess es. Selbst Trainer Amorim wurde kurz vor dem Jahreswechsel beinahe nass – als es während der Pressekonferenz nach einem Spiel im Medienraum plötzlich von der Decke tropfte. Irritiert blickte der Portugiese auf die undichte Stelle. Der frühere United-Kapitän Gary Neville beanstandet, das Stadion sei «verrostet und verrottet» und die Bereiche rund um die Arena würden «unbebaut und verlassen» aussehen.

In England steht das Old Trafford als Sinnbild für den Niedergang des Vereins. United befindet sich nur noch auf Platz 13 der Premier League, Amorim warnte, man müsse in dieser Saison sogar die Abstiegsränge im Blick behalten. Der Klub wirkt mit seinem in die Jahre gekommenen Stadion wie aus der Zeit gefallen. Dabei gehört Old Trafford zu den historischen Fussballstätten. Seine Reputation erhielt es durch die Entwicklung von Manchester United zu einem der weltweit grössten Vereine. Mit einem Fassungsvermögen von 75.000 Zuschauern ist Old Trafford nach wie vor die grösste Klubarena in Grossbritannien – lediglich das Nationalstadion Wembley kann noch ein paar mehr Besucher beherbergen.

Seine Tore öffnete es bereits 1910, entworfen vom Architekten Archibald Leitch. Zu den einzigartigen Merkmalen gehört der alte Spielertunnel auf Höhe der Mittellinie, weil er letztlich der einzige Teil des Stadions ist, der im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde. Auch die Unterführung unter der Hau­pttribüne hindurch von der Ost- zur Westtribüne gehört zu den unverwechselbaren Elementen, sie trägt den Namen «Munich Tunnel» – im Andenken an das Flugzeugunglück der eigenen Mannschaft in München 1958, als unter anderem mehrere Spieler und Offizielle des Klubs ihr Leben verloren hatten.

Neben den United-Heimspielen war das Stadion wiederkehrend Austragungsort von wichtigen Fussballanlässen. Es fanden Matches der WM 1966, EM 1996 und des Olympischen Turniers 2012 statt – sowie der Champions-League-Final 2003. Dazu kommen diverse Rugby-Spiele und Musikkonzerte von Stars wie Rod Stewart, Bruce Springsteen und Bon Jovi. Englands Weltmeister Bobby Charlton, der fast seine gesamte Laufbahn bei United verbrachte, taufte Old Trafford im Buch «Soccer» von John Riley 1987 «Theatre of Dreams»: Theater der Träume. United ist Englands Rekordmeister (20 Titel).

Die Rückständigkeit von Old Trafford offenbarte sich, als Englands Verband FA nach der Vergabe der Fussball-EM 2028 nach Grossbritannien und Irland davon absah, das Stadion als Spielstätte zu nominieren. Die neuen Arenen der Konkurrenz sind inzwischen vorbeigezogen, darunter die des Rivalen City, die den Zuschlag für die EM bekam. Durch den schlechter werdenden Komfort und die kaum mehr ausreichenden Vermarktungsmöglichkeiten entgehen United in jeder Saison beträchtliche Millioneneinnahmen. Deshalb eruiert Uniteds neuer Minderheitsbesitzer Jim Ratcliffe mit einer Taskforce gerade alle Optionen: eine Modernisierung oder Grundsanierung des bestehenden Stadions und ein Neubau in der Nähe. Rund um das jetzige Old Trafford besitzt United etwa 100 Hektar Land.

Die Vision des Ineos-Gründers ist es, ein «Wembley des Nordens» entstehen zu lassen, eine Alternative zu dem für alle englischen Fussball-Länderspiele genutzten Arena in London. Dabei tendiert Ratcliffe offenbar zu einer Neukonstruktion. Dies hätte aus seiner Sicht den Vorteil, dass das neue Stadion auf dem höchsten Entwicklungsstand wäre, sagte er. Die Kapazität solle laut Ratcliffe dann bis zu 100 000 Zuschauer betragen. Ein Neubau würden den Verein kolportierte bis zu zwei Milliarden kosten, ein Umbau der bestehenden Tribüne angeblich eher die Hälfte. In jedem Fall dürften die Arbeiten kaum vor Ende dieses Jahrzehnts abgeschlossen sein. Eine Entscheidung über das Megaprojekt kündigte United für diesen Sommer an.

Als Vorbild könnte die Infrastruktur von Manchester City dienen. Der Rivale im Osten der Stadt hat das Areal um das eigene Stadion transformiert: Eine Fussgängerbrücke verbindet die Arena mit dem neuen Trainingsgelände. Die Erwartungen der United-Fans sind hoch. Er wolle eine «Manchester-United-Welt voller Möglichkeiten, Hoffnung und Glauben» rund um das Stadion haben, fordert Gary Neville. Das klinge zwar nach ‚Disneyfizierung‘, aber er meine einfach ein Stadionareal, vom dem die Besucher beeindruckt seien. Er sei sicher, dass Old Trafford wieder auferstehen werde.

Keep on reading

Am Ball bleiben