Krise bei Manchester United

Auch Sir Alex muss gehen

01. Nov 2024, 22:19 Uhr

Manchester United muss sparen und das bekommt auch Trainerlegende Alex Ferguson zu spüren. Sein Botschaftervertrag wurde kürzlich aufgelöst. (Foto: Matt West / Shutterstock / Imago Images)
Manchester United muss sparen und das bekommt auch Trainerlegende Alex Ferguson zu spüren. Sein Botschaftervertrag wurde kürzlich aufgelöst. (Foto: Matt West / Shutterstock / Imago Images)

Neuer Trainer, neues Management und 250 Entlassungen auf der Geschäftsstelle: In den vergangenen Jahren hat Manchester United Unsummen verprasst. Nun muss der Klub sparen, löst den Botschaftervertrag mit Alex Ferguson auf – und holt mit Rúben Amorim den jüngsten Trainer seit Jahrzehnten.

Von Sven Haist, London

Noch ein paar Tage, dann bricht bei Manchester United eine neue Zeit an: Ab dem 11. November wird der Klub aus der Premier League vom 39-jährigen Rúben Amorim trainiert, der von Sporting Lissabon kommt. Der Portugiese führte Sporting 2021 überraschend zur ersten portugiesischen Meisterschaft nach 19 Jahren. Auch in dieser Saison liegt seine Mannschaft ohne Punktverlust an der Tabellenspitze. Er erhält in Manchester einen Vertrag bis Juni 2027 mit Option auf ein weiteres Jahr. Die Verpflichtung ist insofern bemerkenswert, als Amorim international noch wenig renommiert ist. Seit Manchester Uniteds «ewiger» Trainer Alex Ferguson vor elf Jahren den Rücktritt gegeben hatte, vertraute der Klub dessen Erbe jeweils prominenten Nachfolgern an.

United verpflichtete nacheinander David Moyes, Louis van Gaal, José Mourinho und Ole Gunnar Solskjaer. Doch keiner von ihnen war nachhaltig in der Lage, sowohl die Spieler als auch das Team entscheidend voranzubringen. Dasselbe gilt für Erik ten Hag. Er wurde am Montag entlassen, nachdem die Spekulationen um eine Absetzung des Niederländers ein ganzes Jahr lang angedauert hatten. Die finanziellen Folgen der vergangenen Jahre sind ein grosser Teil der derzeitigen Krise.

Die Verpflichtung von Amorim wirkt wie ein notwendiger Kurswechsel

Jedem der vergangenen Trainer war es gestattet, teure Spielertransfers zu tätigen. Auch ten Hag kostete den Klub seit seiner Einstellung im Sommer 2022 vor allem viel Geld. Die Ablösezahlungen für Spielertransfers beliefen sich unter dem 54-Jährigen auf knapp 750 Millionen Euro. In England spottet man, United müsse mindestens dieselbe Summe nochmals aufwenden, um das Kader wieder konkurrenzfähig zu machen. Die Boulevardzeitung «Sun» schrieb treffend, wenn der Verein nicht Manchester United hiesse, wäre der Trainerposten momentan kein besonders erstrebenswerter Job.

Nun ist es also Rúben Amorim, der sich traut. Die festgeschriebene Ablöse für den 39-Jährigen beträgt 10 Millionen Euro. Das bestätigte Sporting in einer Mitteilung an die portugiesische Börsenaufsicht CMV. Die Ausstiegsklausel trifft United finanziell empfindlich, doch nicht so sehr wie die Abfindung ten Hags. Dessen Vertrag läuft bis Juni 2026 und bringt ihm eine stattliche einstellige Millionensumme pro Jahr ein.

Der Klub hat sportlich einen neuen Tiefpunkt erreicht

Uniteds Verpflichtung von Amorim sieht wie ein nachvollziehbarer und notwendiger Kurswechsel aus, denn der Klub hat in letzter Zeit Unsummen verprasst. Im vergangenen Geschäftsjahr bilanzierte Manchester United ein Minus von 130 Millionen Euro. Der Gesamtverlust der zurückliegenden fünf Jahre beläuft sich auf eine halbe Milliarde Euro. Spieler, Trainer und Management schienen sich durch überzogen anmutende Verträge am Verein zu bereichern. So, wie das die Besitzerfamilie Glazer vorgelebt hatte, indem sie sich regelmässig selbst Tantiemen ausbezahlte.

Der Verein hat in der Premier League einen Tiefpunkt erreicht und steht nach neun Spieltagen auf dem 14. Platz. Deshalb dämmert es den Fans und der Führungsriege um den Minderheitseigentümer Jim Ratcliffe, der für alle Fussballbelange verantwortlich ist, dass auch ein Rekordmeister mit 20 Titeln im Palmarès absteigen kann. Statt Punkte erntete ten Hag mit seiner Mannschaft zum Schluss überwiegend Spott. Die Liste der Blamagen in dieser Saison ist länger als die der fünf Pflichtspielsiege.

Im Sommer wurde angekündigt, dass 250 Stellen abgebaut werden

Die Enttäuschung des Klubs über die Zusammenarbeit drückte sich in der Abschlusserklärung aus, in der sich United in nur einem Satz für ten Hags Engagement bedankte und dessen zwei Cup-Erfolge erwähnte (League Cup 2023, FA Cup 2024). Der Klub hatte gehofft, das Team würde irgendwann ähnlich berauschend spielen wie einst ten Hags Ajax Amsterdam. Dabei schien United aber einer Fata Morgana aufgesessen zu sein. Der Eindruck drängte sich nach einer ansprechenden Debütsaison erstmals in der Herbstkrise 2023 auf, als der Trainer verlautbarte, den Ajax-Fussball in Manchester «nie» reproduzieren zu können – weil er dafür die Spieler nicht hätte. Sein Ziel sei es, aus United die «beste Umschaltmannschaft der Welt» zu machen. Das Vorhaben scheiterte krachend, so wie der Versuch eines mehr auf Ballbesitz ausgerichteten Stils.

Der Trainer-Rauswurf ist quasi die Fortsetzung der Umstrukturierung des Klubs unter Ratcliffe. Der knallharte Geschäftsmann gab die Richtung bereits bei seinem Einstieg an Weihnachten 2023 vor. Er vereinbarte mit der Besitzerfamilie Glazer, dass diese in den nächsten drei Jahren auf jegliche Dividendenausschüttungen verzichten. Als Nächstes stellte Ratcliffe für diese Saison ein neues Management ein. Und im Sommer wurde der Belegschaft des Klubs angekündigt, dass 250 Arbeitsstellen abgebaut werden, um die Ausgaben zu reduzieren.

Alex Ferguson soll das Vertragsende akzeptiert haben

Die Sparmassnahmen trafen auch die Klub-Legende Ferguson, dessen Vertrag als Botschafter von Manchester United aufgelöst wurde: Der Schotte kassierte in dieser Funktion pro Jahr ungefähr zweieinhalb Millionen Pfund. Angeblich akzeptierte Ferguson den Entschluss, der von Ratcliffe persönlich überbracht wurde. Seinerzeit sagte ten Hag dazu, dass Ferguson den Verein dahin gebracht habe, wo er jetzt stehe – aber er genauso ein «siegreiches United» sehen wolle. Der 82-Jährige war am Mittwoch beim Achtelfinal-Sieg über Leicester City (5:2) im League Cup im Stadion. Dort spielte United erstmals unter Interimstrainer Ruud van Nistelrooy, der Torjäger-Legende in Manchester.

Der Einschnitt mit Ferguson verdeutlicht, wie Manchester United über das vergangene Jahrzehnt den Anschluss an die Konkurrenz verloren hat. Der Verein fiel ähnlich aus der Zeit wie die eigene Infrastruktur. Aus diesem Grund forciert Ratcliffe die Modernisierungsarbeiten am Trainingsgelände und eruiert Pläne zum Bau eines neuen Stadions. Als einziger englischer Topklub neben dem FC Chelsea hat United das eigene Stadion seit Ewigkeiten nicht restauriert. Das Old Trafford genügt heutigen Ansprüchen nicht mehr. Ratcliffe sagte, ihm schwebe eine Art «Wembley des Nordens» mit Platz für bis zu 100 000 Zuschauern vor. Für die Umsetzung des Projekts, dessen Volumen sich auf mindestens anderthalb Milliarden Pfund belaufen würde, wirbt er um die Unterstützung der britischen Regierung und von Investoren.

United-Mitbesitzer Jim Ratcliffe möchte ein „Wembley des Nordens“ bauen.

Auch die Ausgaben für den Spielerkader versucht United zu reduzieren

Am dringlichsten sind die Aufräumarbeiten in der Mannschaft. Damit begann der Klub im Sommer, als die Verträge der Spitzenverdiener Raphaël Varane und Anthony Martial nicht verlängert wurden. Allerdings dürfte es United schwerer fallen als sonst, Spieler zu kaufen und zu verkaufen. Denn für viele kostspielig akquirierte Profis gibt es in Europa derzeit kaum angemessene Abnehmer. Und die wenig vielversprechende sportliche Perspektive könnte potenzielle Zugänge abschrecken.

Immerhin hat der Klub bei den vergangenen Transfers vermehrt auf das Alter der Spieler geachtet. Als beispielhaft für die künftige Strategie gilt der Innenverteidiger Leny Yoro, der im Sommer von Lille geholt wurde; er ist 18 Jahre alt. Angesichts des beträchtlichen Rückstands in der Liga könnte es sich für United und Amorim lohnen, für den Rest der Saison vermehrt auf Talente zu setzen. Auch Alex Ferguson setzte bei Manchester United zu Beginn der 1990er Jahre auf junge Spieler. Sie hiessen David Beckham, Paul Scholes und Gary Neville – und gingen später, nach dem Gewinn des Titel-Triples 1999, als «Class of ’92» in die Geschichte ein.

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