Krise bei Manchester United
«Erik, das haben wir jetzt so lange gesehen!»
02. Sep 2024, 16:32 Uhr
Manchester Uniteds 0:3 gegen den FC Liverpool deutet an, dass die Liaison mit Erik ten Hag einem gewaltigen Missverständnis gleicht. Statt Voetball Totaal liefert United eher Voetball Laatot ab. Die Trainerdiskussion verschärft sich erneut – und ten Hag lässt sich auf ein unheilvolles Wortgefecht ein.
Nach dem Debakel gegen den FC Liverpool wirkte Erik ten Hag ähnlich orientierungslos wie zuvor seine Spieler. Der Trainer von Manchester United stand ernüchtert im Mittelkreis und wusste offenbar nicht, wohin er laufen sollte. Er drehte sich in alle Richtungen um – und trottete dann, ausgerechnet, seinen Spielern nach, die sich soeben aufgemacht hatten, sich bei den nur noch spärlich im Old Trafford befindenden Fans für die Unterstützung zu bedanken. Auch ten Hag spendete ihnen Beifall, so wie er das schon betont ausführlich vor der ersten und zweiten Halbzeit getan hatte.
Der Niederländer ist überzeugt, die Leute würden trotz des ausbleibenden Fortschritts hinter ihm stehen. Bisher haben sie tatsächlich darauf verzichtet, seine Absetzung bei den Heimspielen einzufordern. Das liegt aber wohl in erster Linie daran, dass die United-Anhänger den Glauben in Trainerwechsel grundsätzlich verloren haben. Seit dem Rücktritt des Ewigtrainers Alex Ferguson ist ten Hag Uniteds fünfter Chefcoach in elf Jahren, dazu kommen noch drei Interimstrainer.
Auf dem Bußgang über den Platz klatschte sich Erik ten Hag immer wieder mit Spielern ab, bis auf Linksverteidiger Diogo Dalot jedoch nicht mit den eigenen, sondern ausschließlich mit denen des Gegners. Es sah aus, als hätte er für sein Team nichts übrig. Dabei hat er sich den Kader weitgehend selbst zusammengestellt. 15 Akteure wurden in seiner Amtszeit seit Sommer 2022 fest verpflichtet, davon fünf, die er schon bei Ajax Amsterdam trainiert hatte. Uniteds Führung erhoffte sich, die Mannschaft würde irgendwann ähnlich berauschend Fußball spielen wie ten Hags Ajax.
Der Telegraph findet, Liverpools Überlegenheit erinnerte an das 0:7 im März 2023
Doch nach Uniteds 0:3 (0:2) im Prestigeduell mit dem Erzrivalen Liverpool wird immer klarer, dass das Management eher einer Fata Morgana aufgesessen ist. Statt Voetball Totaal lieferte United mehr Voetball Laatot ab. Ansätze jenes verheißungsvollen niederländischen Spielstils zeigte nur Liverpool, seit dieser Saison gecoacht von ten Hags Landsmann Arne Slot. Die einhellige Analyse in England: Slots Einfluss sei nach drei Ligapartien besser zu erkennen als der ten Hags in dessen dritter Saison. Der Telegraph fand, Liverpools Überlegenheit sei derart eklatant gewesen, dass sich das Match wie ein neuerliches 0:7 anfühlte – so wurde ten Hags United im März 2023 von Liverpool abgefertigt.
Mit zwei Niederlagen in drei Spielen findet sich Manchester United erst mal auf dem 14. Tabellenplatz ein. Der Klub wird damit die seit einem Jahr anhaltende Dauerdiskussion um Erik ten Hag nicht los, sie spitzt sich jetzt sogar abermals zu. Am meisten laugt sie den Trainer aus. Auf die harmlose Frage, was ihn, ten Hag, glauben lasse, dass die Spieler und nicht er das Problem seien, ließ er sich auf einen unheilvollen Wortwechsel ein. Er bat den Reporter, ihm die Fehler zu erläutern, die seine Mannschaft regelmäßig begehe.
Ten Hag wollte aus United das beste Umschaltteam machen – und scheiterte krachend
Und der holte aus: „Ständig den Ball in der eigenen Hälfte vertändeln, endlos Chancen des Gegners zulassen, eigene Konter in Unterzahlsituationen: Bei allem Respekt, Erik, das haben wir schon so lange gesehen.“ Ob er sich da sicher sei, hakte ten Hag nach. „Absolut sicher!“, erwiderte der Reporter. Er habe da eine andere Meinung, rechtfertigte sich ten Hag und wiederholte – trotz des miesesten Ligaabschneidens des Klubs in der Vorsaison – seine sehr eigenwillige Sicht auf die Dinge: dass sein Team unter ihm zwei Titel (League Cup, FA Cup) gewonnen hat und damit besser dasteht als alle anderen Klubs bis auf Manchester City in der Premier League.
Die Interpretation veranschaulicht, dass die Liaison zwischen Erik ten Hag und Manchester United immer mehr einem gewaltigen Missverständnis entspricht. Der Eindruck drängte sich erstmals nach einer pragmatisch angegangenen Debütsaison in der Herbstkrise 2023 auf, als Erik ten Hag verlautbarte, den Ajax-Fußball mit United „nie“ reproduzieren zu können – weil er dafür die Spieler nicht hätte und dies auch nicht zur Klub-DNA passen würde. Sein Ziel sei es stattdessen, aus United die „beste Umschaltmannschaft der Welt“ zu machen. Dieses Vorhaben scheiterte krachend.
Am letzten Transfertag kommt Manuel Ugarte – der in dieser Saison noch kein Spiel bestritt
Die Fähigkeiten der Sommerzugänge lassen vermuten, dass der 54-Jährige nun doch eine mehr auf Ballbesitz forcierte Idee implementieren möchte. Der Klub verkaufte mit Eigengewächs Scott McTominay seinen vermeintlich besten Umschaltspieler zur SSC Neapel. Für ihn kam kurz vor Transferschluss der 50 Millionen Pfund teure Gestalter Manuel Ugarte, der in den wichtigen Spielen bei Paris Saint-Germain in der Vorsaison auf der Bank saß und in der laufenden Saison noch kein Pflichtspiel bestritt. Der 23-Jährige stellte sich vor dem Liverpool-Match im Stadion vor und soll dann zur uruguayischen Nationalelf aufgebrochen sein – ohne das Spiel auf der Tribüne zu verfolgen. Dem Klub war es nicht gelungen, ihn rechtzeitig für einen Einsatz zu registrieren.
Ten Hags Transferaktivitäten kosteten eine Dreiviertelmilliarde – dafür hätte sich der Klub fast das dringend nötige neue Stadion bauen können
In Zukunft dürfte er Abräumer Casemiro, 32, ablösen, der gegen Liverpool zur Pause ausgewechselt wurde. Der Brasilianer, den ten Hag für 70 Millionen Euro von Real Madrid kommen ließ, hatte mit zwei Abspielfehlern den Doppelpack von Liverpools Luis Díaz eingeleitet (35./42.), später traf Mohamed Salah (56.). Bis sich Ugarte jedoch eingefunden hat, könnten durchaus mehrere Wochen oder sogar Monate vergehen, stellte der Trainer überraschend in Aussicht. Dasselbe gelte für die bisher wenig überzeugenden Zugänge Matthijs de Ligt, Noussair Mazraoui und Joshua Zirkzee. Ten Hags Transferaktivitäten haben United inzwischen eine Dreiviertelmilliarde Euro gekostet. Für diesen Betrag hätte sich der Klub fast ein neues Stadion zulegen können, das auch dringend benötigt wird. Old Trafford ist in den vergangenen Jahren ebenso aus der Zeit gefallen wie der Klub.
In der Ehrenloge hielt sich der für die Fußballbelange zuständige Minderheitsbesitzer Jim Ratcliffe die Hände vors Gesicht. Neben ihm saßen sein sportlicher Berater Dave Brailsford sowie die neuen Vereinschefs Omar Berrada und Dan Ashworth. Die beiden letzteren durften wegen bestehender Arbeitsverträge mit anderen Klubs rechtlich bis Juli in keiner Form für United tätig werden. Das Führungsvakuum im Verein kam ten Hag entgegen, der Klub schob die Trainerpersonalie immer weiter auf. Doch jetzt führt an ihr vermutlich kein Weg mehr vorbei. Als Erik ten Hag das Stadion verließ, hallten Sprechgesänge durch das Stadion: Die Liverpool-Fans feierten ihren Coach Arne Slot.