Saisonauftakt in der Premier League

Spielen bis zum Burn-out

17. Aug 2024, 22:39 Uhr

Der Sieg im Community Shield gegen Manchester United war das erste von möglichen 85 Pflichtspielen für Manchester City in dieser Saison. (Foto: Simon Dael / Imago)
Der Sieg im Community Shield gegen Manchester United war das erste von möglichen 85 Pflichtspielen für Manchester City in dieser Saison. (Foto: Simon Dael / Imago)

Die Spitzenkräfte der Premier League könnten in der Mammutsaison 2024/25 bis zu 85 Matches absolvieren. Aufgrund der Belastung gleicht der Spielbetrieb immer mehr einem Survival of the Fittest. Spieler und Trainer klagen – und die Spielergewerkschaft Fifpro kündigt eine Beschwerde gegen die Fifa vor der EU-Kommission an.

Von Sven Haist, London

Vor dem Saisonauftakt der Premier League an diesem Wochenende postete Rúben Dias, der Abwehrchef des englischen Meisters Manchester City, eine Power-Point-Seite aus einer Teambesprechung. Darauf zu sehen ist der Fußball-Pflichtspielkalender 2024/2025 für ihn und seine Mitspieler, von der EM 2024 bis zur neu lancierten Klub-WM 2025 mit 32 Mannschaften in den USA. Sollte der Klub, wie zuletzt fast immer, auch in dieser Spielzeit bis zum Ende um alle Titel mitspielen, steht dem Team von Trainer Pep Guardiola eine nie dagewesene 75-Spiele-Saison bevor. Die Matches verteilen sich auf sechs Wettbewerbe: Community Shield (1), Premier League (38), EFL Cup (6), FA Cup (6), Champions League (17) und Klub-WM (7). Für die Nationalspieler kommen fünf Länderspielblöcke mit insgesamt zehn Partien dazu.

Die Matchdays färbte City, je nach Wettbewerb, in bunten Farben ein, die spielfreien Tage blieben weiß. Der Ablaufplan weist keine Lücken auf, in jeder Woche sind drei Partien eingetragen. Im Vergleich zum Vorjahr sind im neuen Ligavorrundenformat der Champions League zwei zusätzliche Spiele im Januar zu bestreiten sowie gegebenfalls eine Playoff-Runde vor dem Achtelfinale. Am Saisonende überschneiden sich sogar die Wettbewerbe an zwei Wochenenden. Als Ausweichtermine sind dafür zwei Pufferzonen im April und Mai freigehalten, sie sind die letzten Platzhalter im Terminkalender – und die gibt es auch nur, weil der englische Verband auf Drängen der Spitzenvereine kürzlich erstmals die Wiederholungsspiele im Pokal abgeschafft hat.

Guardiola stellt seinen Nationalspielern frei, wann sie ins Training einsteigen

Das Programm kommentierte Dias süffisant mit einem lächelnden Smiley mit Schweißtropfen. Auf die Vereinsspieler in der Premier League wartet die längste Fußballsaison überhaupt, für die Nationalspieler unter ihnen hat diese gewissermaßen schon vor einem Jahr begonnen. Sie spielen quasi von 2023 bis 2027 durch, wegen der EM 2024, der Klub-WM 2025 und der WM 2026. In diesem Sommer blieb den am EM-Finale beteiligten Profis lediglich ein Monat zwischen den Spielzeiten. Dabei wären eigentlich zur Regeneration mindestens drei und zur Vorbereitung nochmals vier Wochen erforderlich.

Aus diesem Grund stellte der sonst so strenge Guardiola seinen Nationalspielern frei, wann sie das Training aufnehmen; sie sollten erst nach Manchester zurückkommen, wenn sie das Verlangen spürten, den Ball zu berühren, verfügte er. Denn er könne wenig von Spielern einfordern, die zu erschöpft seien, um anständig zu trainieren; nachdem die mächtigen Verbandsfußballbosse kaum einen Gedanken an die Gesundheit der Profis verschwenden, müssten das dann eben die Trainer tun, zürnte Guardiola.

https://twitter.com/rubendias/status/1821250449757839460

Der Großteil seiner Mannschaft bereitet sich nun seit anderthalb Wochen auf diese Saison vor. Als letzter Nationalspieler traf am vergangenen Mittwoch der Europameister Rodri ein, vier Tage vor dem erstem Ligaspiel beim FC Chelsea an diesem Sonntag. Im Frühjahr hatte sich der Spanier bei seinem Klub beklagt, seine Einsatzzahl seit Jahren sei „nicht gesund“ und könne nicht dauerhaft so weitergehen. Während der EM legte Rodri nach, dass er den Punkt erreicht habe, wo er einfach nicht mehr könne.

Die Premier League gleicht einem Survival of the Fittest

Der europäische Spitzenfußball steuert gerade gefährlich auf einen Burn-out der Spieler zu, am deutlichsten zeigt sich das in der kompetitiven Premier League, die keine Winterpause beinhaltet. Der Spielbetrieb gleicht immer mehr einem Survival of the Fittest: Nur die Spieler, die sich am besten ihre Kräfte einteilen, halten durch. Auch deshalb gewann Manchester City, das in England über den breitesten Kader verfügt und den ökonomischsten Fußball spielt, zuletzt vier Mal in Folge die Meisterschaft. Die Überlastung der Spieler und das daraus resultierende Verletzungsrisiko werden zunehmend sichtbar. Die City-Stars Kevin De Bruyne und Erling Haaland baten im Viertelfinalrückspiel der Champions League gegen Real Madrid vor der Verlängerung um ihre Auswechslung. Damit sendeten sie ein Alarmsignal: Wir sind entkräftet und können nicht mehr länger durchhalten, nicht einmal mehr eine halbe Stunde in der Verlängerung.

Und bei der EM in Deutschland kam kein sogenannter Weltklassespieler in die Nähe seiner Topform heran, viele blieben sogar deutlich hinter den Erwartungen zurück. Die englischen Nationalspieler Jude Bellingham von Real Madrid und Harry Kane vom FC Bayern machten dafür ihre schlechte Verfassung verantwortlich. Bellingham sagte, er sei „psychisch und physisch ausgelaugt“ gewesen, habe sich „wie tot“ gefühlt; und Kane sprach von einem „wirklich harten Turnier, mental und körperlich“ – und meinte damit nicht die bittere Finalpleite gegen Spanien. An den Spielergesichtern habe man ablesen können, wie „müde“ sie gewesen seien, fand Haaland. Er selbst hatte sich mit Norwegen nicht für die EM qualifiziert und konnte während des Turniers pausieren.

Mbappé kam mit 24 auf fast 50 Prozent mehr Einsatzzeit als Henry vor zwei Jahrzehnten im gleichen Alter

Die internationale Spielergewerkschaft Fifpro publizierte 2023 zum Pensum der Topspieler einen Bericht, der den rapiden Anstieg der Spielminuten an zwei prägnanten Beispielen veranschaulicht: Bellingham, 21, absolvierte bis zu seinem 20. Geburtstag 14.445 Profispielminuten, mehr als 30 Prozent mehr als der vergleichbar begabte Wayne Rooney vor anderthalb Jahrzehnten im gleichen Alter. Und der Franzose Kylian Mbappé, 25, kam, als er 24 Jahre alt wurde, auf fast 50 Prozent mehr Einsatzzeit als sein Landsmann Thierry Henry vor zwei Jahrzehnten. Besonders betroffen sind in der Regel die Spieler in England, die bei der WM 2022 im Vergleich zu ihren Kollegen aus anderen Ländern mit Abstand am meisten eingesetzt wurden. Der Geschäftsführer der Premier League, Richard Masters, wähnt die Expansion der internationalen Wettbewerbe an einem Kipppunkt. Er verglich die Lage mit einem Behälter, der voll sei und überlaufe – und in den trotzdem unbeirrt weiter Flüssigkeit geschüttet werde.

Im Juli kündigte die Fifpro gemeinsam mit dem Dachverband für die europäischen Ligen (European Leagues) an, aus wettbewerbsrechtlichen Gründen eine formelle Beschwerde bei der EU-Kommission gegen den Weltfußballverband Fifa einzureichen. In dem Schreiben werfen sie der Fifa vor, mit ihren Entscheidungen „wiederholt eigene Wettbewerbe und kommerzielle Interessen begünstigt und die wirtschaftlichen Interessen der nationalen Ligen sowie das Wohlergehen der Spieler beeinträchtigt“ zu haben. Zudem wird bemängelt, dass sich die Fifa weigere, Ligen und Gewerkschaften „in die Entscheidungsprozess bei der Gestaltung des internationalen Spielkalenders einzubeziehen“.

Die Spielergewerkschaft Fifpro kündigt eine Beschwerde gegen die Fifa vor der EU-Kommission an

Der Weltverband wies die Kritik entschieden zurück – und behauptete, der Spielplan sei einstimmig abgesegnet worden. Nach ESPN-Informationen sollen Fifpro und European Leagues tatsächlich an den Konsultationen beteiligt gewesen sein. Allerdings beinhaltete dieser damals wohl nicht die umstrittene Klub-WM. Zudem konterte die Fifa, einige Ligen in Europa würden „aus kommerziellem Eigeninteresse, heuchlerisch und ohne Rücksicht auf alle anderen“ handeln. Sie bevorzugten offenbar „einen Kalender mit Testspielen und Sommertouren“, übermittelte ein Sprecher. Damit spielte die Fifa auf die interkontinentalen Marketingreisen der Spitzenklubs an – wobei der Kalender auch dafür mittlerweile kaum noch Platz bietet.

Den ersten langen Urlaub für die SPieler gibt es erst 2027 wieder

Im Gegensatz zu Spielern und Trainern halten sich die Klubfunktionäre in dieser Auseinandersetzung bisher zurück. Sie scheinen zwischen den Stühlen zu sitzen, weil sie wohl die Sorgen der Spieler teilen, aber genauso auf die Fernseherlöse und Preisgelder angewiesen sind – um damit die bisweilen enormen Gehaltsforderungen der kickenden Belegschaft zu erfüllen. Allerdings könnten die Erlöse bald leiden, sollte die Qualität der Spiele signifikant sinken. Neulich sagte Robert Lewandowski, der Stürmer des FC Barcelona, dass die Spieler versuchen würden, auf dem Platz Maschinen zu sein. Doch letztlich seien auch sie nur Menschen, die Zeit benötigen, um sich zu erholen.

Für einen langen Urlaub eignet sich erst so richtig wieder der fußballfreie Sommer 2027 – wobei die Spieler bei ihren Buchungen besser eine Reiserücktrittsversicherung abschließen sollten. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass bis dahin noch ein Wettbewerb eingefügt wird.

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