Nachruf auf Sven-Göran Eriksson

Lebemann und Spielerfreund

27. Aug 2024, 11:23 Uhr

"Ein wahrer Gentleman": Auf diese Weise würdigte David Beckham den englischen Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson, der ihn einst zum Kapitän machte. (Foto: Paul Greenwood / Imago)

Sven-Göran Eriksson war der erste ausländische Nationalcoach der englischen Historie – und vor allem einer, der das Leben genoss und das auch seinen Spielern zugestand. Kurz vor seinem Tod erfüllte der FC Liverpool dem Schweden einen besonderen Wunsch.

Von Sven Haist, London

Sven-Göran Erikssons Abschied aus dem Fußball schien seinem bewegten Leben angemessen zu sein. Als der Schwede zu Jahresbeginn mitteilte, an unheilbarem Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt zu sein und allenfalls noch ein Jahr zu leben habe, gab er an, es sei stets sein Herzenswunsch gewesen, einmal in seiner Laufbahn den FC Liverpool zu trainieren. Sein Vater ist zeitlebens Anhänger des Klubs und verfolgt jedes Spiel. Auf Einladung des damaligen Trainers Jürgen Klopp bot Liverpool Eriksson tasächlich an, eine Legendenauswahl des Vereins bei einem Benefizspiel an der Anfield Road zu betreuen.

Eriksson sagte zu und führte beide Mannschaften unter Tränen ins Stadion; die Fans sangen auch für ihn die Hymne „You’ll never walk alone“. Später fasste er seinen emotionalen LFC-Tag als „Erinnerung fürs Leben“ zusammen. Der Besuch demonstrierte, welche Beliebtheit er sich während seiner knapp sechs Jahrzehnte langen Fußballkarriere erworben hatte. Sie war auch Ausdruck seiner stets unverdrossenen Lebensfreude und Erfüllung am Beruf.

Nach einer unauffälligen Spielerzeit in den unterklassigen Ligen seiner Heimat fing Sven-Göran Eriksson, der 1948 in Torsby am malerischen See Fryke geboren wurde und in einfachen Verhältnissen aufwuchs, früh im Management an. Er führte den Drittligisten Degerfors IF direkt zum Aufstieg und gewann anschließend mit dem IFK Göteborg den schwedischen Pokal. Internationale Aufmerksamkeit erregte er mit ebenjenem Klub beim sensationellen Uefa-Cup-Sieg 1982, im Halbfinale und Finale besiegte sein Team die deutschen Klubs 1. FC Kaiserslautern und Hamburger SV. Erikssons Vorgehen war geprägt von den angelsächsischen Prinzipien, die in Schweden damals die dort engagierten englischen Trainer Roy Hodgson und Bob Houghton kultivierten. Wie beide setzte auch er auf einen pragmatischen Spielstil mit kompakter Abwehr und etablierte ein Mannschaftsklima, in dem sich die Spieler aufgehoben fühlten.

Sein größtes Spiel als England-Trainer: Das 5:1 gegen Deutschland in München

Sein Profil weckte Begehrlichkeiten im Ausland. Zuerst zog es ihn zu Benfica Lissabon, dann nach Italien, wo er seine erfolgreichste Phase erlebte: AS Rom, Sampdoria Genua, Lazio Rom, jeweils holte er mit seinen Klubs den Cup, mit Lazio dazu den Europapokal der Pokalsieger 1999 und die Meisterschaft 2000. Die Erfolge brachten ihm die Offerte von Englands Fußballverband ein, der erste ausländische Nationaltrainer der Historie zu werden. Zu Beginn seiner Amtszeit gelang Erikssons England gegen Deutschland im Münchner Olympiastadion ein Triumph sondergleichen: 5:1 – die Engländer waren für die WM 2002 qualifiziert, die Deutschen mussten letztlich in die Playoffs.

Doch die Folgejahre konnten den Erwartungen nicht standhalten. Englands sogenannte goldene Generation um die Weltstars David Beckham, Paul Scholes und Gary Neville scheiterte unter Erikssons Führung bei allen drei Turnieren im Viertelfinale. Anders als die meisten Trainerkollegen stellte Sven-Göran Eriksson nicht nur verbissen alles dem Erfolg unter, sondern genoss sein Leben, immer gutherzig und bescheiden, aber manchmal auch unbedarft. Als England-Coach leistete er sich zwei Affären, darunter eine mit der Verbandssekretärin. Die Boulevardpresse verspottete ihn als „geilen Sven“.

Sven-Göran Eriksson hegte nie Groll – auch nicht gegenüber dem Boulevard, der ihn verspottete

Vor der WM 2006 fiel er auf eine Hinterlist rein: Sven-Göran Eriksson erklärte sich gegenüber einem als Scheich verkleideten Boulevardreporter bereit, der fiktives Interesse am Kauf eines englischen Klubs bekundete, dessen Verein in der neuen Saison zu trainieren. Damit war er als Nationaltrainer nicht mehr zu halten und kündigte kurz darauf seinen Rückzug für nach dem Turnier an. Im Rückblick gestand Eriksson, geglaubt zu haben, auf den Job in England vorbereitet gewesen zu sein – aber das sei bezüglich seines Privatlebens nicht der Fall gewesen.

Trotzdem hegte Eriksson keinen Groll. Die Daily Mail, die ihm gegenüber vor keiner Schlagzeile zurückschreckte, schreibt jetzt anerkennend, dass es der Trainer seinen Kritikern „nie mit gleicher Münze“ heimgezahlt hätte. Dasselbe galt für seinen Umgang mit den Spielern, er schützte sie in jeder Situation. In seiner letzten englischen Amtshandlung als englischer Trainer bat er inständig darum, den wegen eines Platzverweises für das Turnieraus mitverantwortlichen Wayne Rooney nachsichtig zu behandeln.

Was es zu feiern gebe? – „Das Leben, Kaiser“, sagt Sven-Göran Eriksson

Sein Ruf war fortan ruiniert und seine Methoden wirkten zunehmend antiquiert. Für Aufsehen sorgte Eriksson nur noch einmal, als er im Januar 2013 beinahe Trainer des Chaosvereins 1860 München geworden wäre. Als Wunschpersonalie des Investors Hasan Ismaik sollte er in die Sportbelange des Klubs eingebunden werden, er saß sogar bei einem Zweitligaheimspiel des Klubs auf der Tribüne. Seine Installation zog sich in der uneinigen Führung über Monate hin, bis der Aufsichtsrat – unvergessen mitten in der Nacht nach einer stundenlangen Sitzung – grünes Licht gab. Allerdings war Eriksson die Sache am Ende zu heiß, er erteilte dem Vorhaben doch eine Absage.

„Ich hatte ein erfülltes Leben“, sagt Sven-Göran Eriksson kurz vor seinem Tod.

Insgesamt trainierte der Schwede mehr als ein Dutzend Vereine und vier Nationalteams, auch in der Elfenbeinküste und auf den Philippinen war er zugegen. Seine halbe Weltreise spiegelte seine Lebenseinstellung. In seiner Autobiographie berichtet Dietmar Hamann, wie er Eriksson eines Morgens bei Manchester City am Pool mit einer Flasche Champagner gesehen habe. Er fragte ihn, was es zu feiern gebe. Eriksson drehte sich um und sagte lächelnd: „Das Leben, Kaiser!“ Trotz seiner schweren Krankheit hat sich Eriksson seine Vitalität bis zum Schluss bewahrt, er besuchte in den vergangenen Monaten noch einmal einige seiner früheren Klubs. In der Lebensdokumentation „Sven“ auf Amazon Prime sagte er im Abspann kürzlich, dass man mit dem eigenen Leben sorgsam umgehen und es vor allem auch leben solle. Am Montag ist Sven-Göran Eriksson im Alter von 76 Jahren gestorben.

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