West-Ham-Trainer David Moyes

Happy East End

13. Mai 2024, 16:36 Uhr

Nur Arsène Wenger und Alex Ferguson haben mehr Premier-Spiele bestritten als David Moyes, der zum Saisonende bei West Ham United aufhören wird. (Foto: Joshua Smith / Imago)
Nur Arsène Wenger und Alex Ferguson haben mehr Premier-Spiele bestritten als David Moyes, der zum Saisonende bei West Ham United aufhören wird. (Foto: Joshua Smith / Imago)

Nach viereinhalb Jahren trennen sich West Ham United und David Moyes zum Saisonende. Der Schotte hat den Klub zwei Mal vor dem Abstieg bewahrt und ihn zum Conference-League-Titel 2023 geführt. Die Fans feiern ihn zum Abschied mit Ovationen – und Moyes selbst zeigt sich gerührt.

Von Sven Haist, London

Die Fans des stolzen Arbeitervereins West Ham United bewiesen im letzten Heimspiel von David Moyes ähnliche Klasse wie der Trainer selbst. Statt im Trainingsanzug coachte Moyes die Spieler diesmal in feiner Garderobe zum Sieg gegen Luton Town (3:1). Und die Zuschauer sangen ihm auf seiner Ehrenrunde nach Spielende anerkennend den Folk-Klassiker „500 Miles“, zu dem der Schotte nach dem historischen Conference-League-Sieg 2023 mit West Ham in der Kabine ausgelassen getanzt hatte. Kaum ein Lied beschreibt das Wirken des beharrlichen 61-Jährigen besser als das der Kult-Band Proclaimers, das von Hingabe und Treue handelt – und wie viel jemand bereit ist, dafür zu geben. Und David Moyes ist in den vergangenen viereinhalb Jahren wahrlich mehr als eine Extrameile für den Klub gelaufen.

Seine Verdienste honorierten die Leute mit einer Verabschiedung, die auf diese emotionale Art in London wohl nur das herzliche East End hinbekommt. Sie würdigten ihn nicht mit Geschenken und Ansprachen, sondern mit einer Standing Ovation. Die Dankbarkeit konnte Moyes bei seinem Rundgang durch das London Stadium, der Olympia-Herberge 2012, auf einigen Plakaten nachlesen – auf einem stand: „Moysie, thank you. 3 years in Europe, and Champions!“ Immer wieder winkte er den Anhängern gerührt zu, er war den Tränen nahe. Ein riesiges Gefühl sei es für ihn gewesen, Trainer eines solch großartigen Klubs zu sein, sagte Moyes wie immer bescheiden. Wenn man denkt, gute Arbeit geleistet zu haben, sei es toll, den Applaus zu ernten.

David Moyes scheint wie geschaffen für volatile Klubs zu sein

 Wie beim FC Everton, den er von 2002 bis 2013 betreut hatte, gelang es Moyes auch bei West Ham, einen kriselnden Traditionsverein zu stabilisieren und nach oben zu führen. Er ist wie geschaffen für volatile Klubs, weil ihn nur wenig aus der Fassung zu bringen scheint. Zwei Mal übernahm er West Ham in Abstiegsnot, zuerst im November 2017 für ein dreiviertel Jahr und dann im Dezember 2019 – jeweils schaffte er den Ligerhalt. Mit körperbetontem und auf Konter ausgerichtetem Fußball schlug West Ham den Spitzenvereinen immer wieder ein Schnippchen, in der Saison 2020/21 wurde man sogar Sechster – die höchste Platzierung in der eigenen Premier-League-Geschichte.

David Moyes wird auf der Ehrenrunde feierlich von den Fans verabschiedet.

Zu Moyes‘ Vermächtnis zählt auch, dass er die Fans nach dem Stadionumzug 2016 mit dem Standort Stratford versöhnt hat. Er hat quasi die Brücke geschlagen zwischen dem ehrwürdigen Boleyn Ground und der schnieken neuen Multifunktionsarena, in der die Tribünen deutlich weiter vom Spielfeld entfernt sind als früher. Und er hat die Europapokal-Träume der Menschen wahrwerden lassen – was bei West Ham noch möglich war, weil der Klub vor ihm letztmals 1965 einen internationalen Titel abgeräumt hatte, den Europapokal der Pokalsieger. Die Mannschaft habe den Anhängern „einige wirkliche große Abende“ beschert, betonte Moyes, und fügte an, sich nun darauf zu freuen, die nächsten Schritte von West Ham zu verfolgen. Wohlwissend vermutlich, dass aus dem Verein in absehbarer Zeit nur schwerlich mehr rauszuholen sein wird.

An der Personalie David Moyes veranschaulicht sich die Zerrissenheit des Klubs

An seiner Personalie veranschaulicht sich die Zerrissenheit bei West Ham. Im Winter erhielt Moyes ein Angebot zur Vertragsverlängerung, zögerte aber, weil er spürte, dass sich das Management nach einer progressiveren Spielweise sehnte. Der Klub scheint die Ambition zu haben, zu einem Champions-League-Aspiranten weiterzuwachsen. Gleichzeitig ist da aber die Sorge, sich zu übernehmen und wieder in den Abstiegskampf zu geraten. Zuletzt erhöhte sich der Druck indirekt durch die Arbeit der Mittelfeldkonkurrenten Crystal Palace und Brighton, die mit Oliver Glasner und Roberto De Zerbi jeweils zwei Trainer moderner Prägung beschäftigen. So verlautbarten Moyes und West Ham vor einer Woche das Ende der Zusammenarbeit. Sein Nachfolger wird dem Vernehmen nach der Spanier Julen Lopetegui, der kurz vor Saisonbeginn bei den Wolverhampton Wanderers hinwarf.

Durch den Abschied von David Moyes verliert die Premier League nach dem auch gesundheitsbedingten Rückzug des 76-jährigen Trainerveteranen Roy Hodgson im Februar das nächste Unikat. Nur die Ewigtrainer Arsène Wenger und Alex Ferguson haben noch mehr Premier-League-Spiele auf dem Buckel als der Schotte, der es nach dem Saisonabschluss bei Manchester City am Sonntag auf 697 Partien bringen wird. Anschließend wird Moyes die EM als Experte für den Radiosender Talksport begleiten – aber es ist auf keinen Fall auszuschließen, dass er auch als Trainer in Zukunft nochmals mindestens fünfhundert Meilen für einen Verein auf sich nehmen wird.

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