United-Trainer Erik ten Hag
Abgestürzt wie ein Skydiver
07. Mai 2024, 17:20 Uhr

Manchester United reiht in dieser Saison Blamage an Blamage. Nach dem 0:4 bei Crystal Palace wird der Klub als „eines der am schlechtesten trainierten Teams“ verspottet. Trotz des Absturzes könnte Trainer Erik ten Hag für den FC Bayern als Nachfolger von Thomas Tuchel infrage kommen.
Die wirkliche Schmach für Manchester United bestand am Montagabend nicht darin, ein weiteres Debakel gegen Crystal Palace erlitten zu haben. Sondern dass die 0:4-Niederlage schon fast zu erwarten gewesen war. Englands Rekordmeister reiht in dieser Saison konstant Blamage an Blamage. Nach dem Vorrundenaus als Gruppenletzter in der Champions League hat die Mannschaft von Trainer Erik ten Hag in der Premier Leageu 13 Pleiten kassiert, so viele wie noch nie in einer Spielzeit. Dazu kommen 81 Pflichtspielgegentore, auch das gab es seit 47 Jahren nicht mehr. Darunter fallen die jüngsten vier Gegentore gegen den Londoner Vorstadtklub Palace, bei denen sich immerhin nicht sagen lässt, dass die United-Spieler schlecht ausgesehen hätten – weil sie meist schlicht gar nicht im Bilde waren.
Nach nur zwei Siegen in zehn Ligaspielen ist der Klub so rasant auf den achten Tabellenplatz abgestürzt wie ein Skydiver ohne Fallschirm. Selbst die von den internationalen Rängen abgeschlagenen Newcastle United und FC Chelsea sind inzwischen vorbeigezogen, sodass United erstmals seit zehn Jahren eine Saison ohne Europapokal droht. Damals stolperte man nach dem Rücktritt des Langzeittrainers Alex Ferguson als Siebter ins Ziel.
Jamie Carragher kritisiert Erik ten Hag scharf: Keine Meinung, sondern Fakt
Selbst der immer beschwichtigende Trainer der Gegenwart Erik ten Hag ordnete das Palace-Match als „schlimmste Niederlage“ ein. Der Niederländer machte dafür mitunter die Mannschaftsleistung verantwortlich, die sich nicht am vorgegebenen Plan orientiert hätte. Von solchen Ausflüchten wollte der Sky-Experte Jamie Carragher nichts wissen. Er verfügte, United sei „eines der am schlechtesten trainierten Teams der Premier League„. Und sein unmissverständliches Urteil wollte er nicht mal als Meinung verstanden wissen, sondern als Fakt, sagte Carragher.
Tatsächlich ist die (Nicht-)Entwicklung des Teams die größte Enttäuschung der knapp zweijährigen Amtszeit von ten Hag, der nun als Tuchel-Nachfolger beim FC Bayern im Gespräch ist. Der frühere Trainer der zweiten Münchner Mannschaft (2013-2015) hatte sich einst einen Namen bei Ajax gemacht, als er eine Elf mit damals international weitgehend unbekannten Spielern aufbaute und sie mit aufregendem Offensivfußball beinahe ins Champions-League-Finale 2019 führte. Seinerzeit schaltete Ajax das große Real Madrid nach drei Königsklassentriumphen in Serie sensationell im Achtelfinale aus. Dies weckte im Sommer 2022 das Interesse von United.
Erik ten Hag verteidigt sich mit dem Verweis auf Verletzungen und Transfers
Nach einer pragmatisch angegangenen Debütsaison mit dem Titel im League Cup schien der 54-Jährige aus dem Osten der Niederlande dann sich und sein Team zu überschätzen. Trotz Kaderinvestitionen von 450 Millionen Euro wirkt die Spielweise bisweilen wie ein Abbild der Aussagen des Trainers, die immer wieder von Durchhalteparolen und Besserungsversprechen handeln. Zu seiner Verteidigung verweist ten Hag auf die wiederkehrenden Verletzungen von Stammspielern und auch auf die Transferpolitik des Vereins – obwohl er daran selbst maßgeblich beteiligt ist. Deshalb halte er sich nach wie vor für den „richtigen Trainer“, der den Lauf der Dinge bei United verändern könne, bekräftigte ten Hag. Auch wenn sein Vertrag noch bis Juni 2025 läuft, gleicht sein Status derzeit mehr dem eines Interimstrainers.
Selbst das FA-Cup-Finale dürfte den Trainer nicht retten
In England gilt es als beschlossene Sache, dass der neue Minderheitsbesitzer und für die sportliche Ausrichtung zuständige Jim Ratcliffe den Coach nach dem Saisonende abberufen wird. Nach seinem Einstieg im Winter ist Ratcliffe mit seiner Ineos-Truppe dabei, den Klub zu analysieren und das angestaubte Management grundlegend neu auszurichten. Er räumte ten Hag dabei eine Bewährungschance ein, aber das Erreichen des FA-Cup-Finales gegen Stadtrivale City scheint angesichts der Gesamtsituation kaum zu genügen. Gegen eine Weiterbeschäftigung des 54-Jährigen spricht insbesondere die Verfügbarkeit von Thomas Tuchel, dessen Trennung beim FC Bayern öffentlich kommuniziert ist. Der Deutsche genießt auf der Insel nach seinen Erfolgen mit Chelsea den Ruf eines Welttrainers. Und die Marke United zu altem Strahlen zu führen, gewinnt mit jedem vergeblichen Versuch eines Kollegen an Reiz.
Ein möglicher Abschied von Manchester United könnte sich eventuell auch für Erik ten Hag als neue Chance erweisen. Denn dem Vernehmen nach soll er zu den Kandidaten für die Trainerstelle in München gehören. Man kennt sich, er verspricht gleichzeitig internationales Flair und er würde mit einer offensiven Spielidee aufwarten. Dafür wäre es allerdings hilfreich, wenn die Saison mit United in den ausstehenden vier Pflichtspielen noch irgendwie versöhnlich enden würde.
