Titelkampf in der Türkei
Affentheater
26. Feb. 2025, 00:24 Uhr

José Mourinho provoziert als Trainer von Fenerbahce Istanbul mit unablässiger Schiedsrichterkritik. Die Situation eskalierte nun nach dem 0:0 im Stadtderby gegen Galatasaray. Der Meister will Mourinho wegen Rassismus anzeigen, dessen Verein kontert. Steckt dahinter der Frust, dass Fenerbahce wohl erneut den Titel verpasst?
José Mourinho hat sich am Montagabend als Trainer von Fenerbahce Istanbul kurz zum Affen gemacht. In der Nachbetrachtung des Ligaspiels beim Stadtrivalen Galatasaray, bei dem vor und nach dem Match wesentlich mehr los gewesen war als beim faden 0:0 auf dem Platz, imitierte er mit hochgezogenen Armen die Bewegungen von Gorillas. Mit dieser Geste wollte Mourinho verbildlichen, wie sich die Galatasaray-Spieler in der ersten Minute aus seiner Sicht verhalten hatten. Diese seien „wie Affen“ herumgesprungen, um eine gelbe Karte für den jungen Fenerbahce-Verteidiger Yusuf Akcicek zu erwirken, fand er. Weil der Referee in dieser Szene jedoch auf eine Verwarnung verzichtet hatte, lobte José Mourinho blumig, dieser habe im „Dschungel“ überlebt. Damit meinte der selbstgerechte Portugiese freilich die naturgemäß artenvielfältige Geräuschkulisse im Ali-Sami-Yen-Stadion von Galatasaray.
Auslöser für das Theater ist wohl Mourinhos unablässige Schiedsrichterkritik
Kurz darauf erzeugten Mourinhos Worte ein vielstimmiges Echo. In einer Medienerklärung drohte Galatasaray – vermutlich auf Basis von Mourinhos genannten Aussagen –, ein Strafverfahren „wegen rassistischen Äußerungen“ in die Wege zu leiten sowie bei den Fußballverbänden Uefa und Fifa mit formellen Beschwerden vorstellig zu werden. Denn Mourinhos Wortwahl sei über „bloße unmoralische Bemerkungen hinaus zu einer eindeutig unmenschlichen Rhetorik eskaliert“, schrieb der Klub von der europäischen Bosporus-Seite. Man hielt dem gegnerischen Trainer zudem vor, „immer wieder abfällig über das türkische Volk“ zu sprechen. Das Statement versah Galatasaray mit einem „SayNotToRacism“-Hashtag und einem entsprechenden Bild. Die Vorwürfe wies Fenerbahce am Donnerstag ab. Die Bezeichnungen könnten „keinesfalls mit Rassismus in Verbindung gebracht“ werden, sie seien „völlig aus dem Zusammenhang gerissen und absichtlich verzerrt“, teilte man mit. Auch Fenerbahce kündigte rechtliche Schritte an.
Auslöser für das Theater scheint Mourinhos unablässige Kritik an der türkischen Schiedsrichtergilde und den Fußballstrukturen im Land zu sein. Seit seiner Verpflichtung im Sommer 2024 kommt es ständig zu irgendwelchen Vorkommnissen. Im September platzierte er bei einem fälschlicherweise wegen Abseits nicht gegebenen Treffers für sein Team einen Laptop am Spielfeldrand vor eine TV-Kamera. Darauf war ein Standbild der entsprechenden Szene bei Ballabgabe zu sehen. Für die Aktion wurde Mourinho verwarnt. Kurz darauf attackierte er in einem Match den Videoreferee Atilla Karaoglan – er leitete die Hinrundenpleite von Fenerbahce gegen Galatasaray (1:3) – für zwei Elfmeterentscheidungen. Diesen wolle er nicht mehr bei Fenerbahce-Spielen sehen, schimpfte Mourinho.
José Mourinho stellt die Integrität der türkischen Liga infrage
In diesem Zusammenhang stellte der 62-Jährige damals die Integrität der türkischen Liga infrage. Sein Klub müsse gegen ein ganzes System kämpfen, das grau und dunkel sei sowie schlecht rieche. Für diese Einlassungen kassierte er eine Spielsperre und musste 18 000 Euro Strafe zahlen. Das hielt José Mourinho aber nicht davon ab nachzulegen, als er kürzlich einen Galatasaray-Sieg aufgrund von einer aus seiner Sicht umstrittenen Schiedsrichterleistung indirekt als „Skandal“ verunglimpfte. Ein einziger Kämpfer (offenkundig sein Verein Fenerbahce) könne ein „extrem starkes und funktionierendes System“ nicht zerstören. Für sein Dafürhalten sollte seine Mannschaft die türkische Super Lig mit „neun Punkten“ anführen – stattdessen liegt man jetzt nach dem Derby-Remis weiter sechs Zähler zurück.
Mit seinen Tiraden und seiner Bekanntheit, die mehr Aufmerksamkeit als sonst auf den türkischen Fußball lenken, hatte José Mourinho zuletzt wohlkalkuliert von den Punktverlusten seiner Elf abgelenkt und den Druck auf die Türkische Fußball Föderation erhöht. Diese schien ihm dann jedenfalls insofern nachzugeben, als dass man für das Duell Galatasaray-Fenerbahce erstmals einen ausländischen Referee verpflichtete. Die Wahl fiel auf den Slowenen Slavko Vincic, der er in Bezug auf seine Nationalität keine Berührungspunkte zu beiden Vereinen aufweist: Sowohl bei Fenerbahce als auch Galatasaray steht kein Slowene unter Vertrag.
Erstmals nominierte der türkische Verband für ein Ligaspiel einen ausländischen Referee
Zur Nominierung von Vincic, gegen die Galatasaray vor dem Schiedsgericht letztlich vergeblich protestierte, hatte der Verband verlautbart, man wolle „weitere Kontroversitäten vermeiden“. Im skandalumtosten türkischen Fußball gibt es insgesamt wenig Vertrauen in die Integrität und das Qualitätsniveau der nationalen Schiedsrichtergilde. Im Raum stehen stets Korruption, Spielmanipulation und Verschwörungstheorien. Dies versucht José Mourinho für seine Zwecke zu nutzen: Er begrüßte im Vorfeld die Maßnahme des Verbands als wichtigen Schritt für die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Liga – und schilderte hernach, sich bei Vincic in der Kabine bedankt zu haben. Dabei sagte er dem türkischen Vierten Offiziellen, mit ihm als Referee wäre die Partie ein „Desaster“ geworden.
So wirkt die Liaison von Fenerbahce Istanbul und José Mourinho passend, weil sich beide Seiten häufig von der Welt unverstanden fühlen. Seit 2014 wartet der Klub vom asiatischen Bosporus-Ufer auf den Gewinn der türkischen Meisterschaft. Für José Mourinho geht es darum, die Kritiker zu widerlegen, die ihn für aus der Zeit gefallen halten. Da zählt nur der Meistertitel – aber dafür hätte Fenerbahce wohl gewinnen müssen.

Selbst Mourinho kommt kaum zu Wort
Fenerbahçe Istanbul bereitet José Mourinho einen triumphalen Empfang. Eine Viertelmillion Menschen verfolgen seine emotionale Vorstellung im Livestream. Der Startrainer soll den volatilen Klub, der zuletzt im Mittelpunkt von Kontroversen stand, zur ersten Meisterschaft seit 2014 führen.