England-Debüt gegen Albanien
Königsprozession für den Fußballherzog
22. März 2025, 16:03 Uhr

Fußball-England bereitet Thomas Tuchel bei seinem Einstand als Nationaltrainer einen warmen Empfand. Der Deutsche genießt beim 2:0 gegen Albanien den „fantastischen Abend“ und wird von der englischen Presse als „Herzog“ gefeiert. Und apropos herzoglich: Das ist auch Tuchels Entscheidung für den Debütanten Myles Lewis-Skelly.
Thomas Tuchel ist öffentliches Aufsehen um seine Person gewohnt, weil er zu den profiliertesten Fußballtrainern der Welt gehört. Doch bei seinem Debüt als englischer Nationaltrainer schien selbst ihm die Aufregung viel zu werden. Seine Personalie hatte zuvor eine ganze Woche die Fußballschlagzeilen auf der Insel bestimmt. So klatschte Tuchel nach dem Auftaktmatch in der WM-Qualifikation gegen Albanien mit den Teammitgliedern auf der Ersatzbank ab, lief zum Spielfeldrand und legte dann eine Kehrtwende ein. Statt mit dem Team eine Ehrenrunde im Nationalstadion Wembley zu absolvieren, entzog er sich in den Kabinentrakt. Es sah aus, als wollte er seine Spieler in den Fokus rücken, die ihm durch ein 2:0 (1:0) eine erfolgreiche Rückkehr ins Mutterland des Fußballs beschert hatten.
Die Fans bereiten Tuchel mit einem Spruchband einen warmen Empfang
„Tuchel’s coming home“, so fühlte sich die erste Lehrgangswoche des Trainers mit den Three Lions in Anlehnung an die englische Fußballhymne „Football’s coming home“ an. Denn für den Deutschen ist die Tätigkeit auf der Insel eine Herzensangelegenheit. Seit seinem einstigen Engagement beim FC Chelsea, den er kurzerhand zum Champions-League-Titel 2021 führte, empfindet er eine spezielle Verbundenheit zum englischen Fußball – und die Engländer zu ihm. Das zeigte sich bei der einer Königsprozession gleichenden Begrüßung, als er empfangen wurde, als hätte er den Weltpokal bereits mitgebracht, auf den England seit dem WM-Heimsieg 1966 sehnlichst wartet.
Lewis-Skelly ist der jüngste englische Torschütze, der in seinem ersten Länderspiel traf
Vor Anpfiff hieß ihn Englands Football Association (FA) mit Pyrotechnik und Feuerwerk willkommen. Dazu liefen die Teams zu einem neuen Soundtrack ein, den der Verband in Auftrag gegeben hatte und der den Titel „Tuchel’s Army“ trägt. Und die Fans entrollten ein Banner, auf dem zwischen englischen Fußballwappen und Tuchels Konterfei stand: „Welcome to the home of football, Thomas“.
Die Zeitung Guardian notierte zu Thomas Tuchels Einzug ins Stadion beinahe ehrfürchtig, dieser sei wie ein Herzog: schlanke Gestalt, kantig, groß, besondere Ausstrahlung, seltsam beeindruckend. Und apropos herzoglich: So spielte England danach nicht nur in der Anfangsphase, sondern derart erwies sich ebenfalls Tuchels Nominierung des Debütanten Myles Lewis-Skelly. Der Linksverteidiger des FC Arsenal erzielte den englischen Führungstreffer in der 20. Minute – und wurde deshalb mit 18 Jahren und 176 Tagen zum jüngsten Spieler in der Historie der englischen A-Nationalmannschaft, der gleich im allerersten Einsatz traf. Lewis-Skelly sei eine „erstaunliche Persönlichkeit“, der in den vergangenen gemeinsamen Tagen gezeigt habe, dass es normal sei, sich in ihn zu verlieben, lobte Tuchel.
Englands Nationalelf spielt 437 Pässe in der ersten Halbzeit, so viele wie nie zuvor
Der Teenager antizipierte einen genialen Steilpass des Spielmachers Jude Bellingham und schob den Ball mit dem ersten Kontakt im Strafraum geschickt durch die Beine des albanischen Torwarts. Zu diesem Zeitpunkt hatte England tatsächlich enorme 92 Prozent Ballbesitz, die Spieler kombinierten sich praktisch fehlerfrei durch die gegnerische Hälfte und setzten bei etwaigen Ballverlusten umgehend nach. Am Ende der ersten Halbzeit hatten die Three Lions zusammengerechnet 437 Pässe gespielt; so viele, wie nie zuvor in einer Partie der Engländer gezählt worden waren. Man sei „total dominant“ gewesen, konstatierte Tuchel zufrieden.
Allerdings wirkten Trainer und Mannschaft angesichts der deutlichen Überlegenheit bisweilen etwas unterfordert. Anstatt die eigene Spielweise beizubehalten, wurden die Engländer zunehmend hektisch, vermutlich, weil sie schnell weitere Tore nachlegen wollten. Die Folge waren immer mehr Abspielfehler. Diese Tendenz verstärkte sich besonders in der zweiten Halbzeit, woran auch Tuchel seinen Anteil hatte. Um die Offensivbemühungen seiner Elf zu forcieren, veränderte der Trainer die Positionierung von mehreren Spielern auf dem Platz. Sie agierten nun weiter aufgerückt als zuvor. Die Maßnahme führte dazu, dass der Mannschaft die gute Raumaufteilung verloren ging, wodurch Albanien zu ein paar ansprechenden Konteransätzen kam. Die Ambitionen der Gäste stoppte letztlich Englands Kapitän Harry Kane, indem ihm mit seinem 70. Länderspieltor das entscheidende 2:0 in der Schlussphase gelang. Man könne besser spielen und müsse das auch, räumte Tuchel kritisch ein.
Die WM-Qualifikation ist für England mehr Geduldsprobe als Testlauf
Der Trainer dürfte sich vor allem in der zweiten Halbzeit einen höheren Spielrhythmus gewünscht haben. Eine solche Umsetzung hätte aber erfordert, dass die viel beanspruchten englischen Profis grundsätzlich mehr Konzentration und Energie für die Nationalelf aufwenden müssten, als ihnen so kurz vor der Saisonendphase im Klubfußball wohl recht ist. Am Montag geht es, wieder zu Hause, gegen Lettland. Die gesamte Qualifikationsrunde, in der allenfalls wohl Serbien ein ernsthafter Prüfstein ist, scheint für Tuchel und Co. mehr Geduldsprobe als Testlauf für die WM 2026 zu sein. Zumal die Aufstellungen derzeit wenig Aussagekraft haben, weil wichtige Leute verletzt fehlen. Die Schlüsselstellen im Team sind die Besetzung des linken Innenverteidigers sowie eines Zentrumsspielers, der den Takt vorgibt. Ebenso von Belang ist die Eingliederung der vielen Ausnahmespieler im Angriff, wenn sie alle fit sind, sowie die Wahl der Formation. Gegen Albanien entschied sich Tuchel für eine Standardvariante mit Viererkette.
Nach dem Spiel erschien der Deutsche erstaunlich schnell zur Pressekonferenz. Er habe zunächst leichte Nervosität verspürt, aber letztlich sei es ein „fantastischer Abend“ gewesen, bilanzierte er. Für den nächsten Tag stellte Thomas Tuchel seiner Mannschaft einen Ruhetag in Aussicht. Dann verließ er als einer der ersten das Stadion.

"Tuchel's coming home"
Vor seinem Debüt als englischer Nationaltrainer in der WM-Qualifikation gegen Albanien macht Thomas Tuchel einen aufgeräumten Eindruck. Die Spieler schwärmen von ihn, auch die englische Öffentlichkeit ist des Lobes über ihn. Warum sich Tuchel im Land des Erzrivalen wie zu Hause fühlt.