Manchester City verspielt 3:0-Führung

Die Krise hinterlässt Spuren

27. Nov 2024, 11:49 Uhr

Die Negativserie seines Teams hat Pep Guardiola angekratzt. (Foto: Conor Molloy / Pro Sports Images / Imago Images)
Die Negativserie seines Teams hat Pep Guardiola angekratzt. (Foto: Conor Molloy / Pro Sports Images / Imago Images)

3:3 trotz 3:0-Führung bis zur 75. Minute: Durch das wahnwitzige Remis gegen Feyenoord Rotterdam wartet Manchester City seit mehr als einem Monat auf einen Sieg. Der Negativlauf setzt Trainer Pep Guardiola zu – er zerkratzt sich mit den Fingern die Kopfhaut und zieht sich einen Cut auf der Nase zu.

Von Sven Haist, London

Pep Guardiolas Kopf sah so zerkratzt aus, als würde er sich verzweifelt auf der Suche nach einem Ausweg durch einen dichten Dornenwald kämpfen. Vermutlich fühlte sich für den Trainer von Manchester City das wahnwitzige 3:3 nach 3:0-Führung bis zur 75. Minute im Champions-League-Heimspiel gegen Feyenoord Rotterdam am Mit­twoch auch ziemlich schmerzhaft an. Denn das Remis war eine negative Zugabe zu den bereits erlittenen fünf Pflichtspielpleiten in Folge, was dem Katalanen zuvor noch nie passiert ist. Auf Guardiolas Kopfhaut waren überall errötete Streifen und Stellen zu erkennen, dazu hatte er einen blutenden Cut auf dem Nasenbein. Doch die Wunden, die auch das Resultat einer Kneipenschlägerei mit Bierflaschen hätten sein können, hatte sich Guardiola tatsächlich selbst zugefügt, wie er nach dem Spiel freimütig einräumte.

Pep Guardiola schildert die Gründe für seine Verletzungen im Gesicht.

Er berichtete, sich mit den Fingernägeln die Haut aufgerissen zu haben. Bei seiner Schilderung ahmte Guardiola die besagte Handbewegung nach und imitierte dazu das schauerliche Geräusch. „I want to harm myself“, sagte er mit gequältem Lächeln: Ich will mir selbst wehtun. Dann verließ er die Pressekonferenz. Die Aussage dürfte sarkastisch gemeint gewesen sein – wobei ihm einige Kommentatoren in England aufgrund seines Perfektionismus durchaus zutrauen würden, die Krise derart persönlich zu nehmen, dass er sich selbst dafür geißelt. Inzwischen wartet Guardiola mit seiner Elf seit mehr als einem Monat auf einen Erfolg.

Das Remis fühle sich wie eine Pleite an, sagt City-Verteidiger Nathan Aké

Zwar hat das Remis gegen Feyenoord immerhin mal die lange Niederlagenkolonne des Klubs gestoppt. Aber offenbar sind die Citizens gerade so ans Dauerverlieren gewöhnt, dass sich für Abwehrspieler Nathan Aké sogar der Punktgewinn „wie eine Pleite anfühlte“. Citys Auftritt erinnerte an die zwei Persönlichkeiten der ein und derselben Figur Dr. Jekyll und Mr. Hide: Das Team dominierte wie über Jahre gewohnt durch Treffer von Erling Haaland (44. Minute/Elfmeter, 53.) und Ilkay Gündogan (50.) das Match; doch dann wiederholten sich die katastrophalen Aussetzer der vergangenen Spiele, die Feyenoords Anis Hadj Moussa (75.), Santiago Gimenez (82.) und David Hancko (89.) zum sensationellen Ausgleich nutzten. Damit waren die Niederländer der erste Verein überhaupt, der einen 3-Tore-Rückstand in der Champions League in der letzten Viertelstunde noch aufholen konnte.

Die Schlussphase glich für City einem Horrorstreifen, den die FSK wahrscheinlich erst ab 21 Jahren freigeben würde. Guardiola und seine Spieler wirkten geradezu apathisch und ferngesteuert, wie Scha­usteller im eigenen Spiel, die einem niederträchtigen Drehbuch folgten. Beim ersten Gegentor passte der letzte Mann Josko Gvardiol den Ball in den Lauf des Gegners, dann ließ Torwart Ederson eine Flanke aus unmöglichem Winkel passieren – und hechtete kurz darauf weit vor seinem Tor am Ball vorbei. In der Nachspielzeit schoss Jack Grealish an die Latte, Guardiola schmunzelte am Seitenrand und Torjäger Haaland stand der Mund offen.

Guardiolas naiver Dreifachwechsel kippt das Spiel

Die Szenen wirkten so surreal, als sollte es City so ergehen wie fast allen Konkurrenten in den vergangenen Jahren. Beim Stand von 3:0 habe er „keine Gefahr sehen können“, rechtfertigte Guardiola seinen völlig naiven Dreifachwechsel in der 68. Minute, der das Match kippte. Er nahm die Stammkräfte Ilkay Gündogan, Phil Foden und Aké vom Platz, um sie für das Premier-League-Auswärtsspiel beim Tabellenführer FC Liverpool am Sonntag zu schonen. Dafür brachte er neben Kevin De Bruyne die Talente Jahmai Simpson-Pusey, 19, und James McAtee, 22. Damit ging die eigene Stabilität verloren, die Spieler agierten fortan nervös und unsicher.

Erstmals in der eigenen Historie hat City nun mindestens zwei Gegentore in sechs Spielen in Folge kassiert. Der Verein wurde in der Königsklassentabelle nach hinten durchgereicht und muss tatsächlich um die Play-offs für das Achtelfinale bangen. In den nächsten Spielen geht es auswärts gegen Juventus Turin und Paris St.-Germain. Die Situation sei „unerklärlich“, resignierte Gündogan. Auch Guardiola gab zu, das Team trete derzeit „fragil“ auf. Eine mentale Sache? Das wisse er nicht, zeigte er sich ratlos. Vor einer Woche hat er seinen Vertrag bei Manchester City bis 2027 verlängert – ein ziemlich einmaliger Vorgang im Fußballgeschäft nach seinerzeit vier Pleiten in Serie. Pep Guardiola will die Misere unbedingt selbst meistern. Doch bis dahin wird er wohl noch einige Schrammen abbekommen.

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