Pleitenserie von Manchester City

Niederlagenquote: 35,7 Prozent!

24. Nov. 2024, 19:03 Uhr

Stürmische Zeiten für Manchester City und Trainer Pep Guardiola: Erstmals seit 1956 kassiert ein amtierender englischer Meister fünf Niederlagen in Serie. (Foto: Martin Rickett / Imago Images)
Stürmische Zeiten für Manchester City und Trainer Pep Guardiola: Erstmals seit 1956 kassiert ein amtierender englischer Meister fünf Niederlagen in Serie. (Foto: Martin Rickett / Imago Images)

Das 0:4 gegen Tottenham setzt das spektakuläre Kentern von Manchester City fort. Fünf Niederlagen in Serie für einen amtierenden englischen Meister gab es zuletzt 1956. City schwimmt die Saison davon – weil der Klub einen Umbruch verpasst hat und keine Lösung für den Ausfall von Rodri findet.

Von Sven Haist, London

Obwohl sich die Situation nach zuvor vier Pflichtspielniederlagen in Folge überhaupt nicht für eine Ehrung eignete, bereitete Manchester City dem neuen Weltfußballer Rodri einen Galaempfang. Der Klub dunkelte vor dem Premier-League-Heimspiel gegen Tottenham Hotspur am Samstagabend das Stadion ab, stellte am Mittelkreis den Namen des Spielers in Leuchtbuchstaben auf – und überzog das gesamte Spielfeld mit einer Plane, auf der in goldener Schrift stand: „Ballon d’Or 2024 – Rodri“. Ein Scheinwerfer beleuchtete dazu die auf einem Sockel platzierte Glitzertrophäe. Dann schritt Spaniens Europameister unter aufgereihten Flammenwerfern und dem Gebrüll des Stadionsprechers auf den Platz und präsentierte den Pokal zur Partymusik „Freed from Desire“ in alle Zuschauerrichtungen. Doch damit nicht genug: Nach dem Einlaufen der Mannschaften bildeten auch noch die City-Spieler ein Spalier für Rodri. Die Inszenierung wirkte derart abgehoben, dass sie so gar nicht zum bescheidenen Mittelfeldspieler passte – sie wirkte, als wäre der Fußballgott bei Manchester City erschienen.

Das 0:4 war Citys höchste Heimniederlage seit 2003

Allerdings könnte die Zeremonie für einige Zeit erst mal der letzte Festakt des Klubs gewesen sein. Denn im Duell mit Tottenham erlitt die Flotte von Trainer Pep Guardiola einen vollumfänglichen Schiffbruch, den es in dieser Form seit der Klubübernahme durch Scheich Mansour aus der dem Festland vorgelagerten Insel Abu Dhabi noch nie gegeben hatte. Das 0:4 (0:2) setzte die spektakuläre Kenterung des Klubs von nun fünf Niederlagen in Serie fort und war zugleich die größte Schmach in heimischen Gewässern seit dem 1:5 gegen den FC Arsenal 2003. Letztmals war eine solche Misere einem amtierenden englischen Meister 1956 widerfahren. Die vier Treffer der Spurs, die Manchester City auf Grund setzten, erzielten zwei Mal James Maddison (13. Minute, 20.), Pedro Porro (52.) und Brennan Johnson (90.+3).

Ohne Rodri probierte Guardiola mehrere Spieler aus – doch keiner hat dessen Fähigkeiten

In Manchesters Peitschenregen sah der durchnässte Guardiola am Spielfeldrand ähnlich hilflos aus wie ein Captain im Eismeer, dessen Steuerrad nicht funktioniert. In Guardiolas Fall ist das der unverzichtbare Rodri, der seit seinem Kreuzbandriss im September ausfällt. Seit Februar 2023 hat City ohne den 28-Jährigen jetzt zehn Pleiten in 28 Spielen kassiert. Die Niederlagenquote beträgt 35,7 Prozent – im Vergleich zu den unglaublichen 2,6 Prozent, wenn Rodri für Manchester City in dieser Zeitspanne auf dem Platz gestanden war. Für ihn gibt es keine adäquate Alternative im Kader. In den vergangenen drei Jahren hat Guardiola in Rodris seltener Abwesenheit zahlreiche Spieler auf dessen Position vor der Abwehr ausprobiert: Ilkay Gündogan, Bernardo Silva, Mateo Kovacic, Rico Lewis und Kalvin Phillips. Doch keiner vereint Rodris Fähigkeit, der Mannschaft defensiv Stabilität und Zweikampfstärke sowie offensiv Rhythmus und Struktur zu geben. Gegen Tottenham vertraute Guardiola erneut Gündogan – und beging damit einen folgenreichen taktischen Fehler.

Der frühere DFB-Kapitän, der nach seiner Rückkehr vom FC Barcelona im Sommer erstaunlich außer Form auftritt, diente selten als Wellenbrecher und rannte meist hinterher. Gündogans Wirken auf dem für ihn ungewohntem Defensivterrain erinnerte an Citys verlorenes Champions-League-Finale 2021, als Guardiola überraschend Rodri aus der Startelf genommen hatte. Guardiolas Mannschaft wurde vom FC Chelsea seinerzeit genauso kompromisslos ausgekontert wie nun von den umschaltstarken Spurs. Tottenham ist Guardiolas Angstgegner, der Klub hat ihn in seiner Trainerlaufbahn insgesamt neun Mal besiegt, so oft wie kein anderer Verein.

Das Kernproblem: Manchester City kann die Umschaltmomente des Gegners nicht kontrollieren

Kürzlich erzählte der deutsche Trainer Fabian Hürzeler in einem Bild-Podcast, dass er vor seinem Wechsel nach England zu Brighton & Hove Albion bei Guardiola nachgefragt habe, was der Schlüssel sei, um Matches in der Premier League zu gewinnen. Dieser habe laut Hürzeler geantwortet, man müsse in erster Linie „das Umschaltverhalten des Gegners kontrollieren“. Und genau das gelingt Manchester City nicht mehr. Guardiolas Team hat in elf Ligaspielen schon 17 Gegentreffer bekommen – so viele wie Abstiegskandidat Crystal Palace. Am geeignetsten für die Rodri-Stelle scheinen eigentlich die flexiblen Abwehrspieler Manuel Akanji und John Stones zu sein. Beide haben sogar bereits Erfahrung im Mittelfeld der Citizens gesammelt. Aber bisher sieht Guardiola von dieser Lösung ab.

Nach dem erneut empfindlichen Rückschlag gebe es „nicht viel zu sagen“, kündigte Guardiola gleich zu Beginn seiner Analyse an. In acht Jahren bei City habe er so eine Situation „noch nicht erlebt“, aus seiner Sicht müsse man nun irgendwie „die Realität akzeptieren und sie durchbrechen“. Aber dann ließ Guardiola doch auf einmal einen möglichen Hinweis auf den mutmaßlichen Kardinalfehler des Klubs fallen, der wohl für die gegenwärtige Krise hauptverantwortlich ist: Er habe zwar geahnt, dass das eigene Niveau früher oder später mal nachlassen würde – aber er, Guardiola, habe sich dabei „nie vorstellen können, drei Premier-League-Matches hintereinander zu verlieren“.

Auch der FC Liverpool verpasste einst den richtigen Zeitpunkt zum Kaderumbruch

Guardiolas Einschätzung dürfte City nach dem historischen Triple 2023 auch dazu verleitet haben, keinen vorausschauenden Generationswechsel im Team einzuleiten. Dabei diente die Entwicklung beim Dauerrivalen FC Liverpool als warnendes Beispiel: Dort vertraute Trainer Jürgen Klopp nach ähnlichen Erfolgen zu lange dem bestehenden Personal. Das Resultat: Der Klub verpasste die Qualifikation zur Champions League 2023.

In dieser Saison hat sich das runderneuerte Liverpool unter dem Klopp-Nachfolger Arne Slot an der Tabellenspitze bereits ein ordentliches Polster von acht Punkten geschaffen und würde mit einem Sieg im direkten Aufeinandertreffen nächste Woche deutlich davonziehen. Und von hinten baut die Konkurrenz ebenfalls Druck auf das zweiplatzierte City auf, der Abstand zum zehnten Platz beträgt lediglich fünf Punkte. Immerhin hat Citys Misere dazu beigetragen, dass Guardiola in der Vorwoche zunächst mal seinen Vertrag um zwei Jahre bis 2027 verlängert hat. Er habe angenommen, dies sei seine letzte Saison in Manchester, aber wegen der Probleme habe er das Gefühl gehabt, es jetzt „nicht die richtige Zeit, zu gehen“, begründete Guardiola den Entschluss.

Manchester City droht die erste titellose Spielzeit seit Guardiolas Debütsaison

Citys Titelaussichten sind derweil nach dem League-Cup-Aus und dem durchwachsenen Start in die Champions League in vergleichbar weite Ferne gerückt wie in Guardiolas pokalloser Einstiegssaison bei Manchester City. Daran dürfte sich vor allem bis zur Rückkehr von Rodri wenig ändern. Und der fehlt bekanntlich für den Rest der Saison.

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