Erik ten Hag bei Manchester United
Erinnerungen an Louis van Gaal
26. Mai 2024, 17:09 Uhr
Nach dem FA-Cup-Sieg von Manchester United äußert sich Minderheitsbesitzer Jim Ratcliffe nicht zu den Entlassungsgerüchten um Erik ten Hag. Der Trainer wehrt sich derweil massiv gegen die Kritik an seiner Arbeit. Seine Reaktion erinnert an die Demission seines Landsmanns Louis van Gaal.
Der Abwehrveteran Jonny Evans, der schon von 2006 bis 2015 bei Manchester United unter Vertrag gestanden hatte, erwies seinem Trainer nach dem Triumph im FA Cup auf rührende Art die Ehre. Erik ten Hag hatte den 36-Jährigen vor der Saison ablösefrei als Back-up für die Innenverteidigung geholt. Bis dahin hatte Evans zwar mit seinem Jugendklub United alle möglichen Titel gewonnen, aber nie den ältesten Fußballwettbewerb der Welt. Nachdem er die Trophäe nun doch unverhofft im United-Trikot auf der Ehrentribüne des Wembley-Stadions entgegengenommen hatte, wies er die Teamkollegen an, den Pott an ten Hag weiterzureichen. Der Trainer lehnte höflich ab und zeigte mit dem Finger auf die umstehenden Spieler. Aber dann ließ er sich doch überreden, küsste den Pokal und riss ihn mehrmals schwungvoll in Richtung der Fans in die Höhe.
Der dreizehnte FA-Cup-Sieg des Klubs gegen den Stadtrivalen und Meister Manchester City am Samstag wirkte wie eine Entschädigung für Erik ten Hag für die zuletzt massive Kritik an seiner Arbeit. Nach der ansprechenden Einstiegssaison, die mit dem Titel im League Cup abgerundet worden war, hat der Niederländer jetzt eine weitere verfluchte Spielzeit des Rekordmeisters zu verantworten: Sie endete in der Premier League auf dem achten Platz samt negativem Torverhältnis, der schlechtesten Platzierung des Klubs in der Ligahistorie. Englands Medien sehen seine Abberufung deshalb trotz des bis 2025 laufenden Vertrags als besiegelt an, sie bezeichnen ihn seit geraumer Zeit als “dead man walking”, als lebenden Toten.
Wer glaubt, er hätte besser abschneiden können, habe keine Ahnung, sagt Erik ten Hag
Nach dem Finale wehrte sich Erik ten Hag für seine Verhältnisse ungewöhnlich scharf und leidenschaftlich gegen die Berichterstattung. Zu Beginn seiner Amtszeit sei der Klub ein einziges Chaos gewesen, sagte der 54-Jährige. Nun befinde sich die Mannschaft aus seiner Sicht auf dem richtigen Weg, zwei Pokale in zwei Jahren seien nicht schlecht. Jeder, der glaube, er hätte trotz der stattlichen Ausfälle von Schlüsselspielern in dieser Saison ein besseres Resultat erzielen können, habe “keine Ahnung vom Management einer Fußballmannschaft”, schimpfte ten Hag.
Er beharrte auf dem Standpunkt, dass die Klubführung um den für den sportlichen Bereich zuständigen Minderheitsbesitzer Jim Ratcliffe hinter ihm stehen würde. Auf die Frage, wann ihm ein solches Signal von seinen Vorgesetzten zugekommen sei, wich ten Hag jedoch aus: “Wie oft muss ich das betonen? Zehn Mal? Zwanzig Mal?”, schnaubte der 54-Jährige. “Wenn sie mich nicht mehr wollen, werde ich woanders hingehen, um Trophäen zu gewinnen.” Im Interview mit der BBC hatte er direkt nach Abpfiff gesagt, er wisse nicht, ob dies sein letztes Spiel für United gewesen sei.
Auf Nachfrage zur Lage von Erik ten Hag, drehte sich Ratcliffe wortlos um
Der Wortwechsel zwischen dem Niederländer und den Reportern glich mehr einer Konfrontation als einem Gespräch, und er erinnerte damit unweigerlich an die Demission seines Landsmanns Louis van Gaal. Der gewann 2016 ebenfalls den Cup und rechnete anschließend legendär mit den Reportern (“friends from the media”) ab. Dabei knallte er den Pokal auf das Pressepodest und bedankte sich auf dem Weg zum Ausgang sarkastisch für die Glückwünsche. Am nächsten Tag wurde van Gaal erwartungsgemäß freigestellt. Und Erik ten Hag?
Bisher hat sich Ratcliffe mit seiner Ineos-Sporttruppe nicht zu den Spekulationen geäußert. In einem Statement nach Abpfiff, in dem er den Erfolg als großartiges Gefühl bezeichnete, erwähnte der neue Investor den Trainer mit keinem Wort. Als er in der Interviewzone direkt mit der Personalie ten Hag konfrontiert wurde, drehte er sich wortlos um. Die Situation rettete Uniteds Ehrengast Alex Ferguson, indem er schlagfertig entgegnete, auch er habe keine News: “Ich bin zurückgetreten, wisst Ihr das nicht?“
Der Erfolg gegen City zeigt das Potenzial der Mannschaft
Seit seinem Einstieg im Winter hat Ratcliffe fast den ganzen Klub umgekrempelt, den Vorstand, die Geschäftsführung und die sportliche Leitung. Wahrscheinlich wird er dies nach der Saisonanalyse auch beim Trainerposten tun. Vor einiger Zeit sagte der Brite, es gehe nicht darum, zur falschen Lösung zu rennen, sondern zur richtigen zu gehen. Aufgrund der verfahrenen Gesamtkonstellation käme ein Verbleib ten Hags sogar einer noch größeren Überraschung gleich als Uniteds 2:1-Außenseitersieg gegen City, herausgeschossen durch die Kontertore der 19-jährigen Talente Alejandro Garnacho und Kobbie Mainoo. Der Erfolg deutete an, über welches Potenzial das Team verfügt.
Die Fans feiern den Trainer, auch Verteidiger Jonny Evans setzt sich für ihn ein
Als mögliche Trainernachfolger werden vor allem der Deutsche Thomas Tuchel und der soeben beim FC Chelsea verabschiedete Argentinier Mauricio Pochettino gehandelt. Von etwaigen Hintergrundgesprächen wollte ten Hag nichts gehört haben, er habe keine solchen Quellen, insistierte er. Stattdessen kostete er den prestigeträchtigen Erfolg aus. Die Fans feierten ihn, in der Kabine winkte er die Spieler zum Siegerfoto zusammen. Der FA-Cup sei immer auf seiner Wunschliste gewesen, sagte Erik ten Hag.
Sein Kollege Pep Guardiola gratulierte fair und würdigte ihn als außergewöhnlichen Trainer. Unterstützung erhielt ten Hag dann auch aus den eigenen Reihen. Er könne “nur gute Dinge” über ihn berichten, sagte Jonny Evans. Dessen Vertrag läuft im Juni aus. Evans würde gern für ein weiteres Jahr bei Manchester United bleiben – genau wie sein Trainer.