Superstars im Weltfußball

Das Kollektiv ersetzt die Superstars

18. Juli 2025, 22:57 Uhr

Einer gegen alle: Das Duell zwischen Lionel Messi und Paris Saint-Germain steht sinnbildlich für die Entwicklung im Weltfußball. (Foto: Jose Breton / Imago Images)
Einer gegen alle: Das Duell zwischen Lionel Messi und Paris Saint-Germain steht sinnbildlich für die Entwicklung im Weltfußball. (Foto: Jose Breton / Imago Images)

Während europäische Vereine zunehmend auf Teamleistung setzen und Stars weniger im Mittelpunkt stehen, nutzt die FIFA Influencer und neue Marketingstrategien, um das Interesse zu steigern. Auch deshalb ist die Präsenz von Lionel Messi so unersetzlich.

Von Sven Haist, New York

Ob künftig ein Fussballer in einer Mannschaft wieder einen so herausgehobenen Status wie Lionel Messi erlangt, könnte letztlich von Messi selbst abhängen. Am Sonntag steht der Argentinier, fünf Tage nach seinem 38. Geburtstag, im Achtelfinal der Klub-WM mit Inter Miami seinem ehemaligen Verein Paris Saint-Germain gegenüber – dem Klub, den er im Sommer 2023 nach nur zwei Jahren ablösefrei verliess.

Damals wirkten beide Parteien nicht gerade unglücklich über die Trennung. Das Wiedersehen avanciert nun zum prestigeträchtigsten Match des Turniers, nicht, weil Lionel Messi erstmals in seiner Karriere gegen einen Ex-Klub spielt und dabei vermutlich noch einige Emotionen mitschwingen. Sondern vor allem, weil es das Duell des vermeintlich besten Spielers mit der derzeit besten Mannschaft ist. Kein Klub ist so abhängig von einem einzigen Akteur wie Inter Miami von Lionel Messi. Und kein Verein scheint zugleich so unabhängig von einer Einzelperson wie der Champions-League-Sieger PSG.

Europa verliert das Interesse an Superstars wie Lionel Messi

Diese Gegenüberstellung spiegelt symbolisch zwei aktuelle Entwicklungen im Weltfussball wider. Während Spieler von Messis Kaliber auf fernen Kontinenten weiterhin gefragt sind und Teams um sie herum aufgebaut werden, verliert der europäische Fussball zunehmend das Interesse an der Präsenz solcher Superstars.

Die Klubs des alten Kontinents scheinen sich an deren Einzelpräsenz sattgesehen zu haben. Der Star ist heute nicht mehr Lionel Messi, Cristiano Ronaldo oder Neymar – sondern: das Kollektiv. Diesem ordnen sich die gegenwärtigen Vorzeigespieler wie selbstverständlich unter: Ousmane Dembélé bei PSG, Harry Kane beim FC Bayern, Erling Haaland bei Manchester City. Sogar Real Madrid, das mit Kylian Mbappé, Jude Bellingham und Vinicius Júnior gleich drei sehr prominente Spieler in seinen Reihen hat, setzt mit dem neuen Trainer Xabi Alonso verstärkt auf den Teamgedanken.

Die Star-Lücke will die Fifa mit Internetbekanntheiten füllen

Da es naturgemäss komplizierter ist, in einer auf das Kollektiv ausgerichteten Spielweise herauszuragen, mangelt es der Klub-WM, abgesehen von Messi, an globalen Überfliegern. Das wirkt sich auch – und gerade! – auf werberelevante junge Publikumsgenerationen aus, die sich nachweislich stärker für charismatische Einzelakteure als für erfolgreiche Mannschaften begeistern.

Diese Lücke will der Weltfussballverband (Fifa) offenkundig mit Internetbekanntheiten füllen. Der «Telegraph» berichtete, die Fifa und der Streamingdienst Dazn, der weltweit alle Turnierpartien überträgt, finanzierten ein regelrechtes Heer von Influencern und Youtubern, um die Veranstaltung grossflächig zu vermarkten. Ein Beispiel: Ein Amerikaner, der sich «IShowSpeed» (41,2 Millionen Follower auf Youtube) nennt, trat in der Halbzeitpause des Eröffnungsspiels der Klub-WM bei einem Lattenschuss-Wettbewerb gegen Fifa-Legenden an – und schoss dabei peinlich weit über das Tor.

Die Spieler betreten bei der Klub-WM einzeln den Platz

Zudem versucht die Fifa unverhohlen, den Mannschaftssport Fussball immer mehr zu individualisieren. Am markantesten zeigt sich das jeweils vor Anpfiff: Die Teams laufen nicht mehr geschlossen ins Stadion ein, sondern die Spieler werden einzeln aufgerufen – der Captain zuletzt, quasi in umgekehrter Reihenfolge. Diese gewöhnungsbedürftige Vorstellungsrunde bietet jedem Spieler die Bühne, sich vor einem Millionenpublikum zu inszenieren, wie bei einem 100-Meter-Sprintfinal an den Olympischen Spielen.

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Doch die Fussballer wirken irritiert: Sie betreten einfach den Platz, verzichten auf Gesten, Worte oder Grimassen. Das Prozedere, das zusätzliches Interesse wecken sollte, zog sich mehrfach so sehr in die Länge, dass Partien verspätet begannen. Ein Spieler vergass sogar den Handshake und entschuldigte sich, er habe wegen des neuen Ablaufs nicht gewusst, was zu tun sei. «Es ist ein bisschen eine Showsache», kommentierte Roméo Lavia vom Chelsea FC. Er finde das prinzipiell gut – aber in der Premier League könnte es beim Warten doch etwas kalt werden.

Obszön hohe Prämien, aufgemotzte Trophäen: Die Fifa hilft mit eigenem Storytelling nach

Als wäre all das nicht schon Unterhaltung genug, hilft die Fifa mit eigenem Storytelling nach. Dazu gehören obszön hohe Prämien, aufgemotzte Trophäen, verwackelte Perspektiven aus Sicht der Schiedsrichterkamera – und das Angebot, alle Spiele kostenlos zu übertragen. Ein Novum im Vereinsfussball. Dahinter steckt die Überlegung, auf diese Weise neue Zielgruppen zu erschliessen. Allerdings muss der Weltverband aufpassen, damit nicht gleichzeitig die traditionsbewussten Fussballfans in Europa zu vergraulen, die solche Massnahmen als Entfremdung vom eigentlichen Match empfinden könnten.

Das Zelebrieren des Prominentenkults offenbare eine Spannung im Herzen des Fussballs, kritisierte der «Guardian» die neue Marketingstrategie des Verbands. Durch seine aktuelle Ausrichtung ist die Fifa mehr denn je auf Weltstars angewiesen – auch deshalb ist Messis Präsenz so unersetzlich. Weil dessen Rücktritt jedoch altersbedingt bald bevorsteht, benötigt die Fifa dringend Nachfolger. Nichts könnte dabei mehr helfen, als wenn Messi noch einmal zur alten Form auflaufen und das Kollektiv von Paris Saint-Germain übertrumpfen würde. Das könnte die Haltung der europäischen Vereine womöglich wieder aufweichen – und dem Individualismus im Fussball erneut mehr Raum verschaffen.

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