Oliver Glasner bei Crystal Palace

Er kann sich den nächsten Klub aussuchen

05. Okt. 2025, 12:27 Uhr

An seinem Namen führt derzeit kein Weg vorbei: Oliver Glasner, Trainer von Crystal Palace: (Foto: Stephen Flynn / Imago Images)
An seinem Namen führt derzeit kein Weg vorbei: Oliver Glasner, Trainer von Crystal Palace: (Foto: Stephen Flynn / Imago Images)

Seit 19 Pflichtspielen unbesiegt, dazu Triumphe im FA Cup und Community Shield: Die Erfolge mit Crystal Palace machen Oliver Glasner zu einem der begehrtesten Trainer in England. Sein Name wird bei diversen Topklubs gehandelt.

Von Sven Haist, London

Wenn demnächst ein Spitzenklub aus England oder dem Ausland auf Trainersuche geht, führt an einem Namen kaum ein Weg vorbei: Oliver Glasner. Der Österreicher ist derzeit der wohl begehrteste Coach der Premier League, der noch nicht bei einem Grossklub unter Vertrag steht. Seit seinem Amtsantritt bei Crystal Palace im Februar 2024 fliegen die «Eagles» so hoch wie nie zuvor. Nach dem souveränen 2:0 gegen Dynamo Kiew in der Conference League am Donnerstag, dem ersten Europacup-Spiel der Vereinsgeschichte, ist Crystal Palace saisonübergreifend seit nunmehr 19 Pflichtspielen unbesiegt. Das ist Vereinsrekord. In diese Serie fallen auch die einzigen beiden Titel des vor 120 Jahren gegründeten Klubs: Glasner gewann am Ende der vergangenen Saison den FA-Cup gegen Manchester City und zum Start der gegenwärtigen Spielzeit den Community Shield (Supercup) gegen den Liverpool FC.

Dazu steht Crystal Palace vor dem Auswärtsspiel am Sonntag beim Everton FC auf Rang drei der Premier League, nur drei Punkte hinter dem Tabellenführer Liverpool, den Palace jüngst in der Liga erneut bezwungen hat. Dabei hatte Glasner den Vorstadtklub aus dem Londoner Süden einst in akuter Abstiegsgefahr übernommen – vom Veteranen Roy Hodgson, dem früheren Schweizer Nationaltrainer. Zudem hat Palace seine beiden besten Offensivspieler verloren: Vor einem Jahr wechselte der Rechtsaussen Michael Olise für 53 Millionen Euro zum FC Bayern, in diesem Sommer ging der Linksaussen Eberechi Eze für 70 Millionen zum Arsenal FC. Trotzdem ist es Glasner gelungen, die Mannschaft kontinuierlich besser zu machen. Der 51-Jährige aus Riedau an der Grenze zu Deutschland hat aus dem Mittelklasseverein ein Spitzenteam geformt. In dieser Stellung kann er selbst Einfluss auf die Transferpolitik nehmen.

Als der Chairman Steve Parish am letzten Tag der Transferperiode den 2026 ablösefreien Captain Marc Guéhi für rund 40 Millionen Euro an den Liverpool FC verkaufen wollte, legte Glasner energisch sein Veto ein: «Ich sehe keine Chance, das kurzfristig sportlich zu kompensieren», teilte er Parish mit. Woraufhin der bereits verabredete Transfer spektakulär scheiterte. Das häufig unscheinbare Palace, das seit 2013 in der Premier League oft in der unteren Tabellenhälfte dümpelte, streckt sich nun nach Kräften, um mit den Ambitionen des Trainers Schritt zu halten. Eigentlich ist der Verein finanziell auf Spielerverkäufe angewiesen, weil man kommerziell weit hinter den Topklubs zurückliegt.

Mit Zugeständnissen wie bei Guéhi versucht die Klubführung, dem Trainer eine Perspektive aufzuzeigen. Im Gespräch mit der NZZ am Trainingsgelände zeigte sich Glasner kürzlich überzeugt, dass der Verein trotz allen Fortschritten «das Maximum noch nicht erreicht» habe. Ähnlich hatte er sich bereits bei seinem Amtsantritt geäussert. Damals habe er den Verantwortlichen klargemacht: «Wenn das Ziel ist, jede Saison irgendwo zwischen Platz elf und fünfzehn zu landen, bin ich nicht der Richtige.» Ehrgeiz und Ungeduld sind seine grössten Stärken – und wahrscheinlich auch seine grössten Schwächen. Er sei «rastlos, fast getrieben», sagt er selbst: «Der Erfolg macht süchtig.»

Diese fordernde Haltung macht die Zusammenarbeit mit ihm nicht immer einfach, weder für seine Assistenten noch für die Spieler und das Management. «Manchmal sagt jemand: Geniesse doch mal den Moment», erzählt Glasner. Aber er denkt schon wieder an das nächste Spiel, auch jetzt, nach dem gelungenen Start mit Crystal Palace. Dies zieht sich durch seine gesamte Trainerlaufbahn. Vielleicht auch, weil er weiss, wie schnell alles vorbei sein kann. Als Spieler des österreichischen Profi­vereins SV Ried erlitt er im Alter von 36 Jahren nach einem Zusammenprall auf dem Spielfeld eine schlimme Kopfverletzung. Einige Tage später traten heftige Schmerzen auf, und im Krankenhaus wurde ein Blutgerinnsel festgestellt. Eine Notoperation rettete ihm das Leben, eingeleitet von seiner Frau Bettina, mit der er drei Kinder hat. Sie musste das Einverständnis geben, weil er selbst nicht mehr entscheidungsfähig war.

Danach beendete Glasner seine aktive Laufbahn und begann auf Anraten seiner Frau eine Trainerkarriere. Er arbeitete sich systematisch nach oben: zunächst als Co-Trainer von Roger Schmidt bei Red Bull Salzburg, dann als Chefcoach in Ried, ehe er den Linzer ASK unerwartet zum zweiten Platz in der österreichischen Meisterschaft führte. Dieser Erfolg war sein Sprungbrett in die deutsche Bundesliga. Auf seiner ersten Auslandstation qualifizierte sich Glasner in der zweiten Saison mit dem VfL Wolfsburg für die Champions League und wechselte zur Frankfurter Eintracht. Dort feierte er den Gewinn der Europa League 2022 und erreichte den Final im DFB-Pokal, der gegen RB Leipzig verlorenging. All jene Vereine erlebten unter ihm Erfolge, an die sie nach seinem Abschied nicht mehr anknüpfen konnten.

Auch bei Crystal Palace fand er schnell die passende taktische Herangehensweise. Unter seiner Leitung präsentiert sich das Team als Inbegriff einer Premier-League-Mannschaft: aggressiv verteidigend, physisch robust, schnell im Umschaltspiel und fast unerhört selbstbewusst. Auf Basis seiner Fach- und Menschenkenntnis – an Letzterer feilt er mit einem Experten für Persönlichkeitsentwicklung – hat Glasner dem Klub seine Mentalität aufgetragen. Rückblickend scheint es fast vorbestimmt, dass unter ihm die bislang erfolgreichste Phase der Vereinsgeschichte losging. Denn sein Name entspricht auf eigentümliche Weise dem Klub: Die Übersetzung von «Glasner» ist «Glazier» – und gläsern war einst der Kristallpalast («Crystal Palace»), der dem Verein seine Bezeichnung gab.

Geht es nach Crystal Palace, soll Glasner noch lange im Kristallpalast bleiben. Der Vertrag des Trainers läuft nach dieser Spielzeit aus, doch der Klub will unbedingt verlängern. Schon vor einem Jahr hatte der FC Bayern wegen des Trainers angefragt, aber der Verein lehnte ab – der Chairman Parish rief kategorisch eine Ablöse von 100 Millionen Euro aus. Nun kann sich Oliver Glasner praktisch aussuchen, für welchen Klub er künftig arbeiten will.

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