Vincent Kompany im Interview
«Ich bin ein kooperativer Mensch»
24. Mai 2024, 16:47 Uhr
Als Kapitän hat Vincent Kompany den Aufstieg von Manchester City zum Spitzenverein miterlebt. Seit seinem Abschied 2019 versucht er sich nun selbst als Trainer. Im Interview spricht Kompany, 38, über seine Spielphilosophie, die Zusammenarbeit mit Pep Guardiola und seine Kindheit in Brüssel.
„Don’t shoot! No, Vinnie, no!“, rief Sergio Agüero seinem Manchester-City-Teamkollegen Vincent Kompany im Meisterschaftsfinale der Premier League 2019 zu. Der Abwehrspieler Kompany zog dennoch aus 25 Metern ab – und donnerte den Ball zum 1:0-Sieg gegen Leicester in den Winkel. Er habe so viel erlebt, dass ihm niemand erzählen müsse, wann er zu schießen habe, kommentierte Kompany. Das Tor brachte City den Titel und machte Kompany zur Klublegende. In elf Jahren bei City, wohin er 2008 vom Hamburger SV gewechselt war, gewann der langjährige Kapitän alle Pokale in England – nur der Titel in der Champions League blieb ihm verwehrt. Wie dem Verein selbst, bis heute.
Während die Citizens von Trainer Pep Guardiola schließlich den Königsklassentitel 2023 holten, könnte Kompany, 38, ihn in Zukunft als Trainer gewinnen. Nach seinem Abschied von Manchester City ließ Kompany seine Laufbahn zunächst als Spielertrainer bei seinem Heimatklub RSC Anderlecht ausklingen, ehe er im Sommer 2022 zum Premier-League-Absteiger FC Burnley wechselte. Nach dem Auf- und Wiederabstieg steht Kompany nun vor einem Wechsel zum FC Bayern. Vor einem Jahr empfing der Belgier auf dem iydllischen Trainingsgelände von Burnley zum Gespräch.
BTL: Herr Kompany, wie Xabi Alonso in Leverkusen, Mikel Arteta bei Arsenal oder Xavi Hernández beim FC Barcelona gehören Sie zu einer neuen, erfolgreichen Trainergeneration. Sie alle verbindet, dass Sie mit Pep Guardiola zusammengearbeitet haben. Ist das Zufall?
Vincent Kompany: Schwer zu sagen, weil wir ja auch andere gute Trainer hatten, von denen wir Ideen aufgenommen haben. Das wichtigste Kriterium ist für mich, dass man immerzu von den Besten lernt – und Pep ist fraglos einer der prägendsten Trainer seiner Zeit.
Inwieweit hat Guardiola Ihre Leidenschaft für den Trainerberuf geweckt? Sie haben drei Jahre unter ihm bei Manchester City gespielt.
Er hat mich sehr beeinflusst, weil er derjenige war, der das Spiel so heruntergebrochen hat, dass ich es vollumfänglich verstand. Mit seiner absoluten Klarheit war er der Auslöser, dass wiederum ich den Fußball auf meine Art erklären kann.
Sie sagten, Guardiola verwende eine Sprache, die Sie verstanden hätten. Was ist das für eine Sprache? Könnte sie jeder verstehen?
Vincent Kompany: Jeder ist anders. Für mich hat es gepasst. Durch seine Erläuterungen wurde mir in vielen Dingen bewusst, warum ich sie mache. Bis dahin war ich es eher gewohnt, einfach zu tun, wozu ich angehalten wurde. Sobald man eine Erklärung erhält, ist es etwas anderes. Daher ist mein Coaching-Leitprinzip, meinen Spielern jederzeit vermitteln zu können, warum ich dies oder jenes von ihnen einfordere.
Was ist das Relevanteste, das Sie von Guardiola aufgegriffen haben?
Definitiv die Positionierung im Ballbesitz. Ein Beispiel: Jeder weiß, dass man das Spielfeld so groß wie möglich machen muss, wenn man den Ball hat, und so klein wie möglich, wenn der Gegner den Ball hat. Aber die Details bestehen etwa darin, sich als Innenverteidiger dem Außenverteidiger nicht nur deshalb anzubieten, damit dieser den Ball zu einem passen kann. Sondern auch, damit ein Gegenspieler mitgezogen wird – sodass gegebenenfalls ein Passweg auf einen anderen Mitspieler frei wird. Bringt man den Spielern solche Feinheiten bei, werden sie besser.
Haben Sie während einer Guardiola-Trainingseinheit nie gedacht: Lass mich heute einfach mal Fußball spielen?
Ich habe das nie als nervig empfunden. Der Fußball hat sich weiterentwickelt. Aus meiner Sicht benötigt es eine Mischung aus Wertschätzung der Kreativität der Spieler und gleichzeitigem Respekt vor der Spielweise der Mannschaft. Wenn sich Spieler auf dem Platz nicht in den richtigen Bereichen aufhalten, wird man die Vorteile nicht nutzen können, die sich durch eine gute Strategie erzielen lassen.
Wie beschreiben Sie Ihren Führungsstil?
Ich versuche, als junger Trainer bescheiden zu bleiben und so zu sein, wie ich bin: ein kooperativer Mensch. Jeder soll sich wertgeschätzt fühlen, damit wir die Stärken der Einzelnen bündeln können. Ich glaube, dass wir so schneller wachsen.
Woher kommen Ihre Werte?
Von meinen Eltern! Meine Mutter war eine Gewerkschaftsführerin, also eine starke Persönlichkeit, und mein Vater ein politischer Flüchtling, der es einst irgendwie nach Europa geschafft hat (1975 aus der heutigen Demokratischen Republik Kongo; Anm. d. Red.). Obwohl wir zu kämpfen hatten, haben sich meine Eltern stets sehr für diejenigen eingesetzt, die weniger hatten.
Sie sind im ziemlich heterogenen Brüssel aufgewachsen. Hat Ihnen das geholfen, sich auf verschiedene Menschen und Kulturen einzustellen?
Vincent Kompany: Brüssel ist eine komplizierte Stadt, bietet aber auch reichlich Chancen. Meine Herangehensweise ist immer, zu überlegen, wie sich aus Problemen etwas Besonderes schaffen lässt.
Zum Beispiel?
In der Familie habe ich Französisch gesprochen, der Schulunterricht war auf Niederländisch, und in meiner Nachbarschaft wurde viel Arabisch geredet. Später kamen in der Schule Englisch und Deutsch dazu, und als ich 18 Jahre alt war, habe ich auf einmal, vier, fünf, sechs Sprachen beherrscht. Das war anfangs nicht leicht, ist jetzt jedoch ungemein wertvoll.
Man spürt bei Ihnen ein Verlangen nach ständiger Weiterentwicklung. Woher kommt das?
Mich würde es traurig machen, wenn ich das Gefühl hätte, nicht mein Bestes gegeben zu haben. Ich muss mir das jeden Tag im Spiegel bestätigen können. Dieser Antrieb ist bei mir stets da gewesen.
Sind Sie nach Ihrer Spielerkarriere deshalb sofort Trainer geworden?
Nichts zu tun, ist keine Option für mich. Bis ich 30 war, wusste ich nicht, welchen Weg ich nach meiner Karriere einschlagen werde. Der entscheidende Moment war eine Verletzung im Champions-League-Halbfinale 2016. Das war das schlechtmöglichste Timing, weil sie mich die Vorbereitung auf die nächste Saison kostete, als Pep Guardiola bei City neu anfing. Ich musste mir also Gedanken über meine Zukunft machen – und als Pep im ersten Testspiel gegen Thomas Tuchels Borussia Dortmund das Team wie auf ein Champions-League-Match vorbereitete, stand für mich fest, eines Tages auch Trainer werden zu wollen.
Der Spielstil Ihrer Mannschaft in Burnley sieht dem von Guardiola durchaus ähnlich. Sie bevorzugen auch eine auf Ballbesitz ausgerichtete Strategie.
Das denkt jeder, weil wir den höchsten Ballbesitzanteil in der Championship haben. Ballbesitz kann einerseits der Spielkontrolle dienen und andererseits dem Herausspielen von Torchancen. Ich bin mehr aufs Toreschießen fokussiert.
Warum sind Sie nach Ihrer Zeit in Anderlecht zum FC Burnley in die zweite Liga gewechselt?
Wegen der Entscheidungsträger. Ich hatte auch mehrere Angebote, für Klubs auf höherem Niveau zu arbeiten, aber dort hätte ich dankbar für diese Chance und sofort erfolgreich sein müssen. Doch schneller Erfolg ist meist Zufall, und ich traue dem Zufall nicht. Burnley zeigte große Bereitschaft für ein langfristiges Projekt.
Immer mehr Mannschaften spielen im einst von Kick-and-rush geprägten England mittlerweile einen gut anzusehenden Kombinationsfußball. Was denken Sie: Wie kam es dazu?
Vincent Kompany: Das Verständnis für das Spiel hat sich seit meiner Ankunft vor fast anderthalb Jahrzehnten stark gewandelt, weit mehr, als man sich das von außen vorstellen kann. Es gibt hier jetzt ein viel ausgeprägteres Verständnis für die Komplexität des Spiels. Der Realitätscheck war, dass es vor rund zehn Jahren eine Phase gab, in der alle englischen Spitzenteams in internationalen Wettbewerben vorzeitig ausschieden, obwohl sie schon damals über große finanzielle Ressourcen verfügten. Stattdessen dominierten Teams aus Spanien und Deutschland. Dadurch mussten Englands Vereine einsehen, trotz aller Superstars auch gegen kleinere Klubs aus dem Ausland verlieren zu können, wenn man zum Beispiel nicht gut den Ball zurückerobert. Auch die Jugendausbildung hatte nicht das Niveau der europäischen Konkurrenz.
Was hat sich seitdem verändert?
Durch das viele Geld in der Premier League konnten die englischen Klubs die besten Leute aus aller Welt abwerben: die besten Trainer, die besten Spieler, mittlerweile haben sie selbst die besten Nachwuchsakademien. Durch die Verpflichtung der Guardiolas, Klopps und Tuchels dieser Welt ist die Premier League inzwischen wohl taktisch am weitesten fortgeschritten. Das wirkt sich auch auf die unterklassigen Ligen aus.
Bleibt das so?
Der einzige Feind ist Bequemlichkeit. Solange die englischen Klubs nicht bequem werden, wird es für die anderen schwierig.
Sehen Sie irgendeinen Anflug von Bequemlichkeit?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, der Wettbewerb nimmt stetig zu. Die taktischen und technischen Ansprüche steigen immer weiter, die Nachwuchsabteilungen bringen mehr und bessere Spieler heraus. Und: Es gibt viele ambitionierte Entscheidungsträger in den Vereinen.
Inwiefern hängt das mit den Besitzverhältnissen zusammen? Viele Vereine sind mittlerweile in den Händen von Milliardären, teilweise von ganzen Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Vincent Kompany: Ich kann nur über meine Erfahrung bei Manchester City sprechen: Die Besitzer (Scheich Mansour aus Abu Dhabi; d. Red.) haben mit City einen Klub wettbewerbsfähig gemacht, der zuvor keine Chance hatte, Titel zu gewinnen. Das darf man nicht vergessen! Weil es an der Ligaspitze so eng zugeht, müssen selbst Topvereine in England wirklich aufpassen. In Zukunft wird es sicher acht Klubs geben, die alle die Premier League gewinnen können.
Allerdings ruft das grenzenlose Profit- und Machtstreben auch Kritik hervor.
Es ist ganz schwer zu sagen, für welches Vereinssystem man sein soll. Ich habe viel Respekt für das deutsche Modell …
… also etwa die 50+1-Regel, durch die die Vereinsmitglieder immer die Mehrheit der Stimmrechte behalten …
… ich sehe aber auch die Vorzüge der englischen Verhältnisse.
Sie sind damals unmittelbar vor dem Eigentümerwechsel zu Manchester City gewechselt. Wie hat sich die Transformation unter den neuen Besitzern vollzogen?
Vincent Kompany: Das Ausmaß der Investitionen war damals unmöglich vorherzusehen. Zu dieser Zeit war es normal, dass neue Besitzer kamen und sagten, dass sie große Sachen vorhaben, dann passierte aber nichts. Es war durchaus Glück, in Manchester am richtigen Ort zu sein.
Wie fühlte sich das für Sie an, als in jedem Transferfenster immer teurere Spieler verpflichtet wurden?
Das ist der Aspekt des Wettbewerbs. Die neuen Eigentümer kamen nicht, um zu sagen: „Hey, wir wollen das Projekt mit Vincent Kompany bestreiten.“ Man muss jeden Tag dafür kämpfen, in der Mannschaft zu bleiben. Ich hatte immer eine enorme mentale Stärke, sodass ich schnell besser wurde, wenn ich mit besseren Spielern zusammenspielte – bis ich am Ende selbst ein wichtiger Spieler war.
Was macht City heute für Sie aus?
Es gibt eine starke Verbindung zwischen dem früheren Familienverein und dem ambitionierten modernen Klub von heute. Aus meiner Sicht hat City die richtige Mischung gefunden. Der Klub wird wie ein Hochleistungsumfeld geführt: Man hat alles, um besser zu werden und ein großartiges Leben zu führen. Aber ausruhen kann man sich hier nicht. Manchester City ist kein Lifestyle-Klub! Es ist ein Verein, in dem man immer unter Druck steht, gut zu sein. Und in Pep Guardiola hat City den passenden Trainer für diese Vereinskultur gefunden.
Ist das der Grund für die sportliche Konstanz – mit zuletzt vier Ligatiteln in fünf Spielzeiten?
Vincent Kompany: Es wird oft über das Finanzielle geredet, dabei haben die Besitzer verstanden, dass es nicht darum geht, die besten Spieler zu haben. Sondern den besten Verein, das beste Team auf allen Ebenen. Das ist für mich die Erklärung, warum der Klub über viele Jahre hinweg so gut ist. Und: City ist ein ruhiger Klub, in dem einem Trainer in einer schwierigen Situation eher noch ein Extraspiel zugestanden wird. Mehr kann man kaum verlangen.
Als Sie mit Burnley einst im FA-Cup bei City spielten, wurden Sie von den Fans gefeiert. Guardiola sagte, es stehe „in den Sternen geschrieben“, dass Sie eines Tages als Trainer zu City zurückkehren würden. Wird er recht behalten?
Ich bin Fan des Klubs, müsste also gar nicht zurückkehren (lacht). In der Realität spreche ich nicht über meine Zukunft. Ich bin Championship-Trainer beim FC Burnley. Das ist mein Niveau. Aber: Viele sagen immer, was wir alles nicht erreichen können im Leben. Ich bin neugierig darauf herauszufinden, was wir tun können.