Arne Slot beim FC Liverpool
Der kontrollierte Vulkan
01. Dez 2024, 01:22 Uhr
Arne Slot hat den FC Liverpool innerhalb von wenigen Monaten von der Überfigur Jürgen Klopp emanzipiert. Inzwischen erntet er sogar mit eigener Maschine, was Klopp gesät hat, findet sein früherer Trainerkonkurrent Frank Wormuth. Am Sonntag gastiert Manchester City zum Spitzenspiel.
Arne Slot kann ein Vulkan sein, sagt Frank Wormuth am Telefon. Kaum einer kann das besser einschätzen als der ehemalige Leiter der DFB-Trainerausbildung, der zwischen 2019 und 2022 in der niederländischen Eredivisie als Coach von Heracles Almelo mehrmals auf Slots Mannschaften getroffen ist. Slot leitete damals zunächst AZ Alkmaar an und ging dann im Sommer 2021 zu Feyenoord Rotterdam. Ein halbes Jahr zuvor war er bei Alkmaar entlassen worden, mutmaßlich wegen Verhandlungen mit seinem neuen Klub. Wormuths Eindruck bestätigt sich auf Feyenoord-Videos. In einer Sequenz steht Slot auf dem Rasen und nimmt stimmgewaltig an einem Wechselgesang mit den eigenen Fans teil. Er benutzt kein Mikrofon – sondern verstärkt seine Rufe selbst, indem er seine Hände als Schalltrichter an den Mund legt.
Beim FC Liverpool ist der Vulkan Arne Slot noch nicht ausgebrochen. Nach seiner Verpflichtung vor dieser Saison als Nachfolger des Deutschen Jürgen Klopp sagte er, die Reds sollten auf keinen Fall von ihm erwarten, dass er nach Siegen die Jubelfaust zücke – wie Klopp das immer zur Freude der Leute praktiziert hat. Dies sei nicht sein Stil, stellte Slot klar. Bisher hält sich der sympathische Niederländer angenehm zurück, er überzeugt mit Taten, nicht mit Emotionen. Slot könne zwar ein Vulkan sein, aber einer, der sich dennoch gut kontrollieren könne, sagt Wormuth. Slot ist sozusagen ein kontrollierter Vulkan.
Liverpool ist Tabellenführer in der Premier League und Champions League
Nach fast neun Klopp-Dienstjahren galt der Trainerjob an der Merseyside quasi als genauso aussichtsreich, wie die Lava eines Vulkans mit bloßen Händen aufhalten zu wollen. Doch Slot hat es tatsächlich geschafft, dass der stolze Liverpool Football Club nicht unter dem Geröll des Abschiedsschmerzes verschüttgegangen ist. Der Traditionsbetrieb führt die Tabelle der Premier League an und liegt auch im Mammutklassement der Champions League ohne Punktverlust nach fünf Spieltagen auf dem ersten Platz. Vor dem Spitzenspiel gegen Manchester City am Sonntag (17 Uhr) an der heimischen Anfield Road geht es Liverpool unter Slot so gut, dass in England ganz in Vergessenheit geraten ist, dass sich der Klub anstelle von Slot eigentlich zuerst für Xabi Alonso interessiert hatte – der allerdings entschied, als Trainer bei Bayer Leverkusen zu bleiben.
Die gelungene Ballübergabe von Klopp zu Arne Slot liegt aus Sicht von Wormuth an drei Dingen: Erstens suchte das Management der US-Besitzerfirma Fenway Sports Group nicht nach einer Klopp-Kopie; sie suchten nach einem Trainer, dessen Spielgrundzüge ähnlich sind. Dabei habe man mit Slot den „richtigen Typen“ gefunden, ist sich Wormuth sicher. Zweitens hinterließ Klopp mit einem erneuerten Team ein blühendes Feld und keine verbrannte Erde. Und drittens scheint Arne Slot darauf zu achten, sich nicht als zweiter „The Normal One“ zu inszenieren, sagt Wormuth; Slot präsentiert sich eher als „Another One“ – ein Anderer.
Arne Slot misst Ballbesitz und Kontrolle einen höheren Wert bei als Klopp
Slots Persönlichkeit überträgt sich auf den Spielstil seiner Mannschaften. Seine Spieler würden stets „voller Energie“ agieren, beobachtete Wormuth bei den Aufeinandertreffen in Holland. Gleichzeitig folgten sie immer auch einem klaren Plan. Slots Handschrift sei deutlich zu erkennen, findet Wormuth. Im Grunde steht Slot wie Klopp für Angriffsfußball und Pressing. Trotzdem misst Slot dem Ballbesitz eine höhere Bedeutung bei als sein Vorgänger. Liverpool habe unter Klopp „jeden Moment“ genutzt, um den Ball hinter die gegnerische Abwehrkette zu spielen, erklärt Slot. Dadurch sei das Spiel gerade zum Ende der Vorsaison oft in einen offenen Schlagabtausch gemündet. Er verlange nun, Risiko und Ertrag besser einzuschätzen. Taktgeber ist der frühere FC-Bayern-Profi Ryan Gravenberch.
Zudem ist Wormuth aufgefallen, dass Klopps Power-Pressing nicht mehr durchgehend angewendet wird. Slots Elf greift bisweilen weiter hinten an, um kompakter zu bleiben. Und vor allem lösen die Spieler dabei das Pressing nur noch punktuell aus. Können sie den Gegner nicht stellen, versammeln sie sich wieder geschlossen hinter dem Ball und warten auf die nächste Gelegenheit. Dagegen jagten Klopps Reds dem ballführenden Spieler teilweise so lange auf dem Platz nach, bis sie ihm den Ball tatsächlich abgenommen hatten. Die Anpassung der Spielweise drückt sich in Liverpools derzeitigem Torverhältnis aus – es lautet nach zwölf Spieltagen nun 24:8 statt 27:10 wie in der Vorsaison (bei fast identischer Punktzahl). Liverpool stellt damit die mit Abstand beste Abwehr der Premier League.
Durch die ökonomischere Spielweise hat Liverpool mehr Kraftreserven
Den Grund dafür sieht Wormuth in der ökonomischeren Spielweise, die den Spielern Reserven lässt, auch gegen Spielende die Verteidigung zu stabilisieren. Kürzlich fand Linksverteidiger Andrew Robertson, das eigene Spiel wirke jetzt etwas „sicherer“. Durch die größeren Kraftreserven steigt auch die Effizienz in der Chancenverwertung. In der Vorwoche drehte Liverpool das Spiel gegen Southampton mit zwei Toren in der Schlussphase.
Unter Slot vollzieht sich beim FC Liverpool mehr eine Evolution als eine Revolution. Dass die Mannschaft sich für seine Ideen begeistere, liege an seinen moderaten Anpassungen, glaubt Arne Slot. Nach nicht mal einer Halbsaison befindet er sich auf ansprechendem Weg, den Klub von der Überfigur Klopp zu lösen. Die Liverpool-Fans betrachten ihn zunehmend als Arne Slot und nicht mehr als den Nachfolger Klopps. Wormuth findet, Slot ernte inzwischen mit seiner eigenen Maschine, was Klopp gesät habe. Die Ansätze will Arne Slot indes nicht überbewerten. Sollte Liverpool aber weiterhin prächtig dastehen, wird sich vielleicht auch Arne Slot mal vor der Fantribüne zeigen.