Titelkampf in der Premier League
Hoffen auf den Erzrivalen
29. Apr. 2024, 13:23 Uhr

Im nervenaufreibenden Nord-London-Derby gewinnt der FC Arsenal auswärts bei Tottenham Hotspur. Doch die Euphorie fällt dezent aus – denn im Titelkampf mit dem favorisierten und ebenfalls erfolgreichen Manchester City benötigt es wahrscheinlich Schützenhilfe vom Erzrivalen.
Erst als die Spieler des FC Arsenal den Platz im Tottenham Hotspur Stadium verlassen hatten, brach der große Jubel aus. Der Klub veröffentlichte mehrere Fotos aus der Mannschaftskabine, auf denen Declan Rice, William Saliba und Kapitän Martin Ödegaard triumphal posierten. Und der deutsche Nationalstürmer Kai Havertz postete eine Anination von sich, der seinen Gemütszustand veranschaulichen sollte. Die von künstlicher Intelligenz erstellte Memes zeigt Havertz auf einer Showbühne vor euphorisiertem Publikum, wie er sich bisher öffentlich selten präsentiert hat: ausgelassen tanzend. Der Kurzclip erregte bei den Fans in den sozialen Netzwerken – 20 Millionen klickten es bisher an – ähnlich viel Aufmerksamkeit wie seine Spielleistung.
Nicht ganz so ausgelassen fielen Arsenals Feierlichkeiten unmittelbar nach Spielende aus. Der Tross um Trainer Mikel Arteta schmiss zwar nach dem Erfolg im nervenaufreibenden North London Derby gegen Tottenham Hotspur eine kleine Sause vor den Anhängern. Aber im Vergleich zum Vorjahressieg an selber Stelle, bei dem Gabriel Martinelli überschwänglich einen Arsenal-Schal auf die über ihm fliegende Spidercam geworfen hatte, waren die Gunners diesmal um Maß bemüht. Denn sie könnten den Erzrivalen in dieser Saison noch dringend benötigen.
Der FC Liverpool verfolgt den Titelkampf mit fünf Punkten Rückstand
Arsenal hat durch das für die eigene erste Meisterschaft seit 20 Jahren fast unerlässliche 3:2 (3:0) bei Tottenham die Tabellenführung der Premier League verteidigt. Der Klub liegt mit einem Punkt vor dem Seriensieger Manchester City, der jedoch drei Spieltage vor Schluss ein Match weniger bestritten und damit den Titel selbst in der Hand hat. Der FC Liverpool verfolgt den unterhaltsamen Meisterkampf nach zuletzt nur einem Sieg in fünf Ligaspielen dahinter mit fünf Punkten Rückstand. Als komplizierteste Aufgabe im City-Restprogramm, das Duelle mit Wolverhampton, Fulham und West Ham vorsieht, gilt das Nachholspiel in der letzten Woche – bei Tottenham.
Aus diesem Grund ging es für Arsenal am Sonntagnachmittag auch darum, die Spurs zu bezwingen, sie aber emotional nicht zu brüskieren. Und dieser nicht einfache Spagat gelang den Gunners eindrucksvoll, indem sie darauf hinwirkten, dass diese sich gewissermaßen selbst besiegten. Mit einer kompakten Abwehr am eigenen Strafraum lockte Arsenal den bisweilen unbesonnen attackierenden Gegner an und entblößte dessen Schwachstellen, Konter und Standards. Zur Halbzeit stand es 3:0 für Arsenal, obwohl die Spurs die Partie eigentlich dominierten und die besseren Chancen hatten.
Gegen 13 von 19 Ligakonkurrenten hat Tottenham mindestens zwei Gegentore kassiert
Die Treffer eins und drei fielen jeweils nach einem Eckball, zunächst leistete sich Tottenhams Pierre Emile Höjbjerg ein Eigentor (15. Minute), dann traf Havertz per Kopf (38.). Dazwischen schloss Bukayo Saka einen Tempogegenstoß sehenswert ab (27.). Die Times kommentierte amüsiert, die Spurs seien fantastisch anzusehen und genauso fantastisch für einen Gegner zu bespielen. Gegen stattliche 13 von 19 Ligakonkurrenten hat Tottenham in dieser Saison mindestens zwei Gegentore kassiert, gegen manche, wie Arsenal, sogar in beiden Partien.
Trotz des klaren Rückstands stärkten die Tottenham-Fans ihrer wie immer unermüdlichen Mannschaft den Rücken. Sie blieben ihm Stadion und trieben die Spieler zur Aufholjagd an. Begünstigt durch einen schwerwiegenden Abspielfehler und einem überflüssigen Strafraumraumfoul erzielten die Spurs ihre Anschlusstreffer, die Schützen hießen Cristian Romero (64.) und Heung-min Son (87./Elfmeter). Weil daraufhin „so viele Spurs-Spieler im Strafraum“ gewesen seien, habe er in den Restminuten „gebetet“, dass nichts mehr passiere, bekannte Arsenals Trainer Arteta. Die eigenen Aussetzer hätten eine „falsche Nachricht“ in die Köpfe seiner Spieler platziert.
Die meisten englischen Fußballfans wünschen sich einen neuen Meister
Nachdem die Gunners in der Vorsaison nach langer Tabellenführung zu diesem Zeitpunkt eingebrochen waren und City den Titel überlassen mussten, kündigte Arteta nun an, seine Mannschaft werde es bis zum Ende „richtig krachen“ lassen. Er könne zu „hundert Prozent“ den Kampfgeist des Teams erkennen. Anders als gemeinhin wegen der ausgeprägten Rivalitäten in England kann Arsenal im Endspurt auch auf die moralische Unterstützung der meisten Fußballfans vertrauen. Das Land wünscht sich nach fünf von sechs Meisterschaften für City einen neuen Titelträger – egal wie er letztlich heißt.
Manchester City befindet sich schon wieder im Siegmodus
Doch die Gefühlslage scheint die Truppe von Trainer Pep Guardiola nicht zu berühren. Vom Spannungsgehalt glich der 2:0-Arbeitssieg beim Abstiegskandidaten Nottingham Forest durch Tore von Josko Gvardiol und Erling Haaland im Vergleich zum vorher ablaufenden London-Derby mehr wie eine Aufzeichnung als ein Livespiel. Die Citizens haben schon wieder fünf Siege in Serie aneinandergereiht, im Fernduell mit Liverpool gelangen ihnen zum Ende der Saison 2018/19 sogar mal 14 Ligaerfolge am Stück.
So wirkt der Zweikampf an der Tabellenspitze gerade eher einem Einkampf, den Manchester City mit sich selbst austrägt. Guardiola versetzte sein Team bereits in den benötigten Siegmodus, indem er verfügte, Arsenal werde keine Punkte mehr abgeben. Dies würde bedeuten, dass City für die vierte Meisterschaft hintereinander tatsächlich alle weiteren Matches gewinnen müsste. Entsprechend formlos hakten die Spieler die drei Punkte in Nottingham ab. Zwar wird auch bei City durchaus laut gefeiert, aber meistens immer erst ganz am Saisonende.

Kai Havertz ist Arsenals Thermometer
Vor dem Viertelfinal-Rückspiel gegen den FC Bayern nimmt Kai Havertz beim FC Arsenal eine Schlüsselrolle ein. Der Klub hat seine erfolgreichsten Phasen in dieser Saison immer dann, wenn der Nationalspieler auf Betriebstemperatur ist. Trotzdem wird er unterschätzt - auch weil er die Mannschaft in den Vordergrund stellt.