United-Besitzer Jim Ratcliffe
Aus Liebe zum eigenen Ansehen
13. Apr. 2025, 23:45 Uhr

Das Image von Mulitmilliardär Jim Ratcliffe hat zuletzt gelittten, wegen seiner Firma Ineos und seinem Umzug ins Steuerparadies Monaco. Nun will er Manchester United als Minderheitsbesitzer zur alten Größe führen – und damit die Liebe der Fans gewinnen.
Von all den Fragen, die Jim Ratcliffe seit seinem Einstieg als Minderheitsbesitzer beim Manchester United Football Club an Weihnachten 2023 gestellt worden sind, hat er auf die wahrscheinlich einfachste keine klare Antwort: Warum tut er sich, der vermögendste Brite, dessen Reichtum auf locker mehr als zehn Milliarden Pfund geschätzt wird, den dauerkriselnden englischen Rekordmeister überhaupt an? Der 72-Jährige versicherte im Gespräch mit der Zeitung «Times», dass es ihm definitiv nicht ums Geld gehe, er verdiene «genug» mit dem von ihm im Jahr 1998 gegründeten Petrochemie-Konzern Ineos. Auch seine Verbundenheit zu seiner Geburtsstadt Manchester und dem Klub Manchester United, in dessen Stadionnähe er aufgewachsen ist, führte er nicht an.
Die patriotischen Briten haben Ratcliffe den Umzug nach Monaco nie verziehen
So steht zu vermuten, dass hinter seinem Einsatz vielleicht ein Grund stecken könnte, den Ratcliffe lieber für sich behält: sein eigenes Ansehen. Dieses hat in den vergangenen Jahren empfindlich gelitten, insbesondere in Grossbritannien. Zum einen wegen der Kritik an seinem Unternehmen, dem vorgeworfen wird, der Umwelt zu schaden. Und zum anderen, weil er 2020 seinen Wohnsitz ins Steuerparadies Monaco verlegt hat, nachdem er zuvor von Prinz William zum Ritter geschlagen worden war. Den Umzug haben ihm die patriotischen Briten nie verziehen.
Entsprechend dürfte Ratcliffe mit dem Wiederaufbau des gefallenen Fussballriesen Manchester United also versuchen, seine Reputation hierzulande zu korrigieren. Es steht für ihn sein Vermächtnis auf dem Spiel. Führt er United zur alten Grösse zurück, könnte er ähnliche Bewunderung erfahren wie einst Trainerikone Alex Ferguson, der den Verein von 1986 bis 2013 geprägt hat. Sollte er es nicht schaffen, könnte es ihm wie der United-Eigentümerfamilie Glazer ergehen. Sie kann sich in Manchester kaum mehr blicken lassen.
Jim Ratcliffe ließ sich mit den Glazers auf einen ungewöhnlichen Deal ein
Ratcliffes Reputationsverlust fiel damals mit einem Tiefpunkt für Manchester United zusammen. Der Klub war von den im Fussball ahnungslosen sechs Glazer-Geschwistern, die diesen einst von ihrem Vater Malcolm geerbt hatten, finanziell auseinander genommen worden und abgestürzt. Dies führte zur erstmaligen Bereitschaft der Glazers, Anteile abzugeben. Sie fürchteten um den Wert ihres Investments.
Ratcliffe, der gewiefte Geschäftsmann, antizipierte das Vorhaben und liess sich auf einen ungewöhnlichen Deal ein. Er kaufte ihnen für 1,2 Milliarden Pfund 27,7 Prozent der Aktien ab und verpflichtete sich zu weiteren 80 Millionen zur Sanierung der maroden Infrastruktur. Seine Teilhabe am Klub erhöhte sich so auf nun 28,94 Prozent. Im Gegenzug sicherte er sich die alleinigen Entscheidungsbefugnisse über alle sportlichen Belange. In gewisser Weise war Ratcliffe für seinen möglichen Ruhm also bereit, die «Cashcow» namens Manchester United zu füttern, die weiterhin den Glazers gehört und die sie melken.
Als erste Maßnahme strich Ratcliffe den Glazers die Dividenden
Die Vertragsdetails mit den Glazers deuteten an, wie Ratcliffe den Verein umzumodeln gedenkt. Er strich den dem Geld zugewandten Glazers ihre Dividendenausschüttungen. Dann feuerte er das Management, Trainer Erik ten Hag sowie einige Spieler – und er baute hunderte Stellen auf der aufeblähten Geschäftsstelle ab. Sogar das freie Mittagessen für Mitarbeiter strich der Klub. Sein Ziel sei eine «schlanke, effiziente Elite-Organisation», sagte Ratcliffe. Dazu entwickelte der Klub unter ihm eine neue datenbasierte Transferabteilung, um die Trefferquote bei Spielerzugängen zu erhöhen. Diese Entwicklung hatte man «völlig verschlafen», räumte er ein. Sein Vorgehen wirkt zielgerichtet und durchdacht, offenbar haben ihm die zurückliegenden, weitgehend misslungenen Ineos-Sportengagements geholfen, sich Insiderwissen und ein Netzwerk in der Branche aufzubauen.
Der einst öffentlichkeitsscheue Ratcliffe ist nun permanent in den Medien
Die Kritik an seinen unpopulären Beschlüssen in Manchester kontert Jim Ratcliffe mit einer Charmeoffensive. Das ist insofern überraschend, als der Multimilliardär bis dahin von allen in England als eher «öffentlichkeitsscheu» wahrgenommen worden war. Davon kann nun nicht mehr die Rede sein, so präsent wie er ist. Seit seinem United-Beginn hat er fast allen Leitmedien auf der Insel Interviews gewährt, zuletzt liess er sich im Podcast des Ex-United-Kapitäns Gary Neville zum Zustand des Klubs ausfragen. Dabei antwortet er meistens transparent, aufschlussreich und bisweilen auch selbstkritisch. Er glaube nicht, den Klub ohne Fehler führen zu können. Ein paar hat er schon gemacht, er schob zum Beispiel die Entlassung ten Hags zu lange auf und äusserte sich missverständlich und ignorant zum Frauenteam.
Seine Auskunftsfreude soll wohl auch den Zweck erfüllen, Verständnis für die komplizierte Lage des Vereins und seine Aufgabe zu schaffen. Wie strategisch er versucht zu agieren, zeigte sich unlängst, als er warnte, ohne die krassen Sparmassnahmen stünde das hochverschuldete United am Jahresende ohne Cash dar – um den eigenen Fans dann am nächsten Tag auf einmal versöhnliche Pläne für ein neues, zwei Milliarden teures Stadion (anstelle der ehrwürdigen Heimspielstätte Old Trafford) zu präsentieren. Zur Umsetzung ist man auf eine Zusammenarbeit mit den Behörden in Manchester angewiesen. Das sorgt nicht überall für Zustimmung. Ein Labour-Politiker missbilligt das Vorhaben auf der Internetseite «Confidentials Manchester» als «halbgares Projekt eines Steuerflüchtlings».
Die sportliche Situation von United hat sich konsolidiert
Nach etwas mehr als einem Führungsjahr von Ratcliffe und dem zwischenzeitlich historischen Absturz des Profiteams auf Tabellenplatz 15 in der Premier League hat sich die Situation unter Trainer Rúben Amorim konsolidiert. Es besteht sogar die Chance, die Europa League zu gewinnen und sich damit einen Startplatz für die Champions League in der neuen Saison zu sichern. Die Fans stellt das freilich noch nicht zufrieden. Kürzlich brach sich die angestaute Wut Bahn, nachdem der Verein eine Ticketpreiserhöhung bekannt gegeben hatte. Bei einem Protest wurde erstmals auch Ratcliffe angegiftet. Ein Fan hielt gemäss dem Klubspitznamen «Red Devils» (rote Teufel) einen Dreizack hoch, an dem Bilder der Glazers aufgespiesst waren – und eins von Jim Ratcliffe.
Die Pauschalisierung ist wohl mitunter darauf zurückzuführen, dass sich Ratcliffe von den Glazers nie distanziert hat. Er verliert kein schlechtes Wort über sie, unlängst lobte er sie gar als «wirklich anständige Menschen». Ratcliffe weiss, dass er sie in Zukunft vielleicht nochmals benötigt, falls diese erwägen würden, weitere Anteile abzugeben. Den jüngsten Zorn der Fans erklärte er sich damit, dass sich die Glazers aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen hätten und sich daher jetzt alles auf ihn allein fokussiere. Ein bisschen dieses Zorns davon könne er eine Zeit lang ertragen, sagt Ratcliffe. Ihm mache es nichts aus, «unpopulär» zu sein, weil er verstehe, dass niemand die Weltmarke Manchester United unter ferner liefen sehen möchte.
Jim Ratcliffe droht den Fans: Wenn sie ihn anfeinden wie die Glazers, werde er aufhören
Doch jene Diffamierungen sind genau das Gegenteil von dem, was er mit seiner Tätigkeit bezwecken möchte. Das wurde nochmals deutlich, als er den Fans im erwähnten «Times»-Interview eine klare Ansage machte. Er sagte, die Verwünschungen seien nicht schön und er ticke diesbezüglich so wie jeder Mensch: «Wenn sie ein Ausmass erreichen, mit dem die Glazers verabscheut werden, muss ich sagen: Genug ist genug, Leute, lasst jemand anderen das machen.» Sollte er scheitern, werde er zurücktreten, betont Jim Ratcliffe. Aber er sei sicher nicht zu scheitern.

Ratcliffe zieht den Goldesel
Ineos-Chef Jim Ratcliffe sichert sich für 1,2 Milliarden Euro die sportliche Hoheit bei Manchester United. Damit steht der Klub vor einem lang ersehnten Umbruch. Die Besitzerfamilie Glazer verdient allerdings weiter mit.